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BBL_Management-Studie
Nicht alles paletti im Homeoffice
Von zu Hause zu arbeiten, funktioniert in der Finanzbranche nur vordergründig. Eine aktuelle Befragung deckt psychische Probleme der Mitarbeitenden sowie fehlendes Teambuilding auf. Banken und Sparkassen sollten dringend gegensteuern.

Selbst große Techfirmen sind sich aktuell nicht einig, wie es nach Co­rona mit den Homeoffice-Regelungen weitergeht: Facebook und SAP wollen ihre Mitarbeitenden den Arbeitsort auch künftig frei wählen lassen. Sie argumentieren mit den Erfolgen aus der Pandemiezeit und der Selbstbestimmung ihrer Angestellten, die diese zweifellos zu schät­zen wissen.

Apple ruft dagegen seine Belegschaft ab September für mindes­tens drei Tage pro Woche zurück ins Büro. Als Grund dafür gibt das Unternehmen an, dass ein starkes Miteinander und Zusammengehö­rigkeitsgefühl wichtig sind, um herausragende Leistungen zu bringen.

Der neue Amazon-Chef Andy Jassy hat in einem Fernsehinterview über digitale Meetings beklagt: „You just don’t riff the same way“ – eine schöne Formulierung dafür, dass ein Team eben nicht „so gut zusam­menrockt“, wenn nicht alle Mitglieder physisch anwesend sind.

Zusammenarbeit auf Distanz vordergründig hervorragend

Auch in deutschen Banken, Sparkassen und Versicherungen haben die Top-Manager positive, aber auch negative Auswirkungen der Remote-Arbeit erfahren. Das zeigen die Ergebnisse der Studie „Endstation Home­office? Wohin deutsche Unternehmen steuern“ der Unterneh­mensberatungen Axxcon, Detego und KWF.

Nach Angaben der 216 befragten CEOs, Geschäftsführer und Bereichs­leiter (viele aus dem Finanzsektor) war nach der pandemiebedingten Um­stellung auf die Arbeit aus dem Homeoffice zunächst alles in bester Ordnung und die Institute sind hervorragend für die neue Arbeitswelt gerüstet.

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Nahezu einstimmig geben die Manager aus den obersten Etagen der Firmen an, dass sich Mitarbeiter und Führungskräfte „gut „oder sogar „sehr gut“ auf die neue Arbeitswelt eingestellt haben. Bei den Befragten aus der Versicherungsbranche ist die positive Stimmung dabei beson­ders aus­ge­prägt.

Hier geben 40 Prozent an, dass sich die Unternehmen der Branche „sehr gut“ auf die neue Arbeitswelt eingestellt haben. Bei den Banken sind es lediglich 15 Prozent. An diesem Punkt hat es sich ausgezahlt, dass die Versicherungen bereits vor Corona sehr gute Erfahrungen mit Homeof­fice gemacht haben.

Ein Zurück zum Status vor der Pandemie – da sind sich die Befragten beider Branchen einig – wird es nicht geben: Die Firmen werden auf einen Mix aus alter und neuer Arbeitswelt setzen, prognostizieren knapp 90 Prozent der Top-Führungskräfte.

Psychische Gesundheit und Teambuilding bleiben auf der Strecke

Gleichzeitig zeichnen sich in der Umfrage Risiken und Befürchtungen ab, was die auf den ersten Blick gut funktionierende Arbeit aus den heimi­schen Büros heraus betrifft. Denn während sich auch Innovations­fähig­keit und Effektivität ihrer Firmen nach Einschätzung der Führungskräfte während der Pandemie nur in wenigen Fällen verschlechtert und zum Teil sogar verbessert haben, zeigt sich bei einigen weichen Themen der Zusammenarbeit ein anderes und durchaus bedrohliches Bild.

Nach Einschätzung von 44 Prozent der Befragten aus allen Branchen hat sich etwa das Zugehörigkeitsgefühl „etwas verschlechtert“. Einbußen beim Teamzusammenhalt sehen sogar 49 Prozent. Die psychische Gesundheit hat sich laut 54 Prozent der Befragten verschlechtert (siehe Abb. 1).

Für die beiden größten Gefahren bei der dauerhaften Arbeit aus dem Home­office halten Führungskräfte:

  • fehlende Trennung von Berufs- und Privatleben;
  • Vereinsamung der Remote-Arbeitenden.

So kann bei einigen – und oftmals sind es gerade die besonders enga­gierten – der permanente Einsatz aus der Distanz zum Burnout führen. Auch ein Loyalitätsverlust der Mitarbeitenden ihren Firmen gegenüber ist zu erwarten (siehe Abb. 2).

Ließen sich diese Risiken über die begrenzte Zeit der Pandemie noch weitestgehend „in Schach halten“, ist auf Dauer mit deutlich stärkeren negativen Auswirkun­gen zu rechnen. Denn der Punkt wird kommen, an dem man nicht mehr von dem Zusammengehörigkeitsgefühl von der Zeit vor der Pandemie zehren kann.

Verstärken werden sich auch weitere risikobehaftete Entwicklungen, die die Manager – nach Details der Zusammenarbeit befragt – erkannt haben. So erklären 38 Prozent von ihnen, dass Transformations- und Change-Projekte bei der Arbeit im Homeoffice „eher nicht gut“ funktio­nieren.

42 Prozent sehen Schwierigkeiten bei der Kontrolle, Korrektur und Mess­barkeit der Arbeitsleistung und 50 Prozent beim Networking und infor­mel­len Austausch. Bei der Konfliktlösung (63 Prozent) und beim Team­building (71 Prozent) erreichen die kritischen Stimmen am Ende die höchsten Werte.

Schließlich ist sogar die gestiegene beziehungsweise unveränderte Innovationsfähig­keit, die viele der Befragten ihren Unternehmen attestieren, mit Vorsicht zu genießen. So hat Corona zwar viele Veränderungen erzwungen, die vor der Pandemie nicht denkbar gewesen wären und in dieser Hinsicht tatsächlich für einen Innovationsschub in Bezug auf den Einsatz bereits vorhandener Technologien und Techniken gesorgt.

Ob aber innovative Ideen – speziell im Bereich neuer Produkte und Services – gleichermaßen aus den Teams heraus entstehen, wenn sich die Mitarbeitenden nicht mehr wie früher in den Büros treffen, ist nicht nur aus der Sicht des Amazon-Chefs, sondern aus der Erfahrung von Unternehmens- und Transformationsberatern heraus fraglich.

Denn spannende Ideen entstehen oftmals erst über den persönlichen Austausch in der Kaffeeküche oder im lockeren Geplauder vor oder nach einem Meeting. Dringend sollten daher Maßnahmen entwickelt werden, die diese Lücken zu füllen helfen.

Bröckelndes Erfolgsfundament

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie: Vordergründig sind die Banken, Sparkassen und Versicherungen für die neue hybride Arbeits­welt sehr gut aufgestellt. Die IT funktioniert und die alltäglichen Aufgaben werden offenbar zur Zufriedenheit erledigt.

Bei näherem Hinsehen jedoch wird deutlich, dass das Fundament ge­fährlich bröckelt, da die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und der Zu­sammenhalt der Teams gefährdet sind. Große Baustellen, die den Unternehmen zunächst oftmals gar nicht bewusst sind, liegen in den Bereichen Teamführung und soziales Miteinander. Hier fehlt es an Know-how ebenso wie an geeigneten Instrumenten.

Die während der Pandemie genutzten Formen der Zusammenarbeit wer­den in vielen Punkten bezüglich ihrer Wirksamkeit überschätzt – nicht zu­letzt, weil die coronabedingte Arbeit auf Distanz zunächst sehr viel besser funktioniert hat als befürchtet.

Doch auch hier darf man sich von den ersten Erfolgen nicht täuschen lassen, sondern muss genauer hinsehen und auf Dauer nachhaltige Lösungen finden. Unter anderem wird es dazu gute Instrumente und aufmerksame Führungskräfte brauchen.

Stark gefragt sind demnach die Führungskräfte, die sich auf neue Formen virtueller und hybrider Zusammenarbeit einstellen können und die mit den immer wieder neuen Herausforderungen flexibel und lösungsorientiert umgehen.

Um diese zu bewältigen, benötigen sie den Befragten zufolge vor allem Vertrauen in die Mitarbeitenden und Kommunikationsstärke. Zudem sol­len sie Vorbild sein, wenn es um neue Arbeitsformen geht. Sie sollen kooperativ führen, Einfühlungsvermögen und Kompetenz auf Distanz zeigen, die dezentrale Entscheidungskompetenz der Teams stärken und bei all dem die eigene Rolle nicht überschätzen.

Ohne systematische Transformation geht’s nicht

Appelle an die Führungskräfte in der Finanzbranche werden allerdings nicht ausreichen: Um die in der Studie deutlich gewordenen Schwach­stellen zu beseitigen, sind systematische und interdisziplinäre Trans­formationsinitiativen nötig, die laut 53 Prozent der befragten Führungs­kräfte aus dem Bankensektor abgeschlossen beziehungsweise größtenteils in der Umsetzung sind.

22 Prozent erklären, dass es in ihren Firmen entsprechende Pläne gibt. Bei 27 Prozent der Befragten dagegen ist auch das aktuell noch nicht der Fall. Damit schneiden die Banken und Sparkassen im Branchen­vergleich gut ab. Allerdings stehen auch sie oft noch ganz am Anfang, was die dringend erforderliche Weiterentwicklung der Unternehmens- und Führungskultur betrifft.

Über alle Branchen hinweg betrachtet sind die Ergebnisse vor allem bei kleineren Unternehmen mit unter 500 Mitarbeitenden alarmierend. Hier geben 53 Prozent der befragten Manager an, dass bislang keine ent­spre­chende Transformationsinitiative geplant ist. Die wichtigsten Themen für Transformationsprozesse (siehe Abb. 3) sind den Be­fragten aus dem Bankensektor zufolge:

  • Einführung flexibler Arbeitszeiten;
  • hybrides Arbeiten;
  • moderne Führungskultur;
  • digitale Lernformate.

Finanzdienstleister, in denen bereits Initiativen gestartet sind, haben danach ihre Mitarbeitenden in den Transformationsprozess einbezogen und etwa Umfragen zum Status quo und den Bedürfnissen der Mitarbei­tenden durchgeführt.

Ziele für die Transformationsprozesse formuliert sowie Transformationsteams gebildet und einen festen Zeitrahmen definiert haben schon deutlich weniger der betreffenden Unternehmen. In diesen Punkten sind Nachbesserungen sinnvoll (siehe Abb. 4).

Tabu-Thema Heimarbeitsplatz

Aber nicht nur bei den Programmen in den Bereichen Kulturwandel und Führung hakt es vielerorts. Versäumnisse zeigt die Studie auch bei der Ausstattung der Heimarbeitsplätze: So haben sich in jeweils rund 80 Prozent der Banken bereits Standards für die IT-Ausstattung und den Datenschutz der Homeoffice-Arbeitsplätze etabliert.

Ganz anders sieht es jedoch bei der Beleuchtung und den Büromöbeln aus, deren Anschaffung weitgehend den Mitarbeitenden selbst überlas­sen worden ist. Hier haben nur jeweils fünf Prozent der Finanzinstitute entsprechende Maßnahmen ergriffen.

Zwar auch auf niedrigem Niveau, aber dennoch positiv stechen hier die Versicherungen heraus, die sich zu 28 beziehungsweise 25 Prozent mit diesen Themen beschäftigt haben. Überhaupt noch nicht angesprochen sind damit brisantere Themen wie die räumliche Enge, unter der einige Mitarbeiter vor allem in den Großstädten leiden.

Den Verantwortlichen war zunächst offensichtlich wichtig, dass die Technik funktioniert und die Zusammenarbeit auf Distanz möglich ist. Um das Thema Heimarbeitsplätze jedoch drücken sich die Entscheider herum. Viele ersetzen den Begriff „Homeoffice“ auch bereits durch „mobiles Arbeiten“, womöglich, um sich der Verantwortung nicht stellen zu müssen.

Insgesamt gibt es laut Studie im Hinblick auf die erhöhte Belastung der Mitarbeitenden und die anfallenden Kosten für das Homeoffice keine faire Balance zwischen Firmen- und Belegschaftsinteressen. Das ist nach Ansicht der Autoren inakzeptabel und könnte den Unternehmen eher früher als später auf die Füße fallen.

Wer das Homeoffice ernsthaft als Dauerlösung in Erwägung zieht, muss sich dringend damit auseinandersetzen – anderenfalls wird sich das im Kampf um gut ausgebildete Talente rächen.

Einen Plan benötigen Finanzdienstleister jedoch auch für die frei werden­den Büroflächen, den rund zwei Drittel auch schon haben. So erklären 47 Prozent der Befragten aus dem Banken- und 42 Prozent aus dem Versicherungsbereich, die vorhandenen Büroflächen so umzugestalten, dass sie zu den neuen Arbeitsmodellen passen.

18 beziehungsweise 19 Prozent wollen ihre Büroflächen verkleinern. 34 Prozent beziehungsweise 35 Prozent wissen noch nicht, was sie mit den betreffenden Flächen tun wollen. Dies ist ebenfalls ein recht hoher Wert.

Fazit

„Die Krise ist eine Chance beziehungsweise ein Weckruf, um notwendige Verän­derun­gen einzuleiten“, erklären schließlich 90 Prozent der Befragten aus dem Bankensektor. Dass sich die Wertigkeiten durch die Krise verscho­ben haben, vermuten 70 Prozent. Neue Themen aufgrund der Krise sehen 58 Prozent. Wichtige Zukunftsthemen über die Coronakrise hinaus sind für die Befragten vor allem:

  • Digitalisierung;
  • Sinnhaftigkeit der Tätigkeit.

Der zweite Punkt mag in seiner Deutlichkeit überraschen. So hat das Thema Purpose in den vergangenen Jahren und Monaten zwar an Bedeutung gewonnen, eine konsequente Ausrichtung daran ist jedoch in den wenigsten Unternehmen zu erkennen. Gemeinsam mit dem Nachhaltigkeitsthema, das im Ranking Platz fünf einnimmt, wird es die Unternehmen mit Sicherheit noch lange beschäftigen.

Autoren
Michael Möller ist Partner bei Axxcon Management Consultants in Schwalbach am Taunus.
Christian Kistler ist Geschäftsführer der KWF Business Consultants in Frankfurt/M.

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Michael Möller, Christian Kistler (Bild oben: Shutterstock)
– 6. Juli 2021