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Stadtentwicklung
Sparkassen sorgen für pulsierende Innenstädte
Der Siegeszug des Online-Handels und die Coronakrise machen den Händlern in den Stadtzentren schwer zu schaffen. Wie die Sparkassen zur Belebung der Stadtzentren beitragen, zeigen Beispiele aus Bocholt, Schlüchtern und Konstanz.

Meldungen über Filialschließungen und Geschäftsaufgaben häufen sich. Deutschlands letzte große Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof kündigte im vergangenen Jahr die Schließung von rund 40 Filialen an. Im Januar 2021 wurde bekannt, dass die Modekette Pimkie fast die Hälfte ihrer Geschäfte dichtmacht und Promod gleich alle Geschäfte aufgibt. Auch Deutschlands größte Parfümeriekette Douglas kündigte an, rund 60 Filialen schließen zu wollen.

Nicht erst seit Ausbruch der Pandemie steht der stationäre Einzelhandel unter enormem Druck. Die Coronakrise hat den schon seit Jahren bestehenden Trend zum Online-Handel massiv beschleunigt. Der Städte- und Gemeindebund (DStGB) schlägt Alarm und spricht von einem „Ausbluten“ der Innenstädte und Ortskerne. Wie dramatisch die Lage tatsächlich ist, zeigen folgende Zahlen: Der Handelsverband Deutschland befürchtet, dass bis zu 50.000 Geschäften in der aktuellen Krise das Aus drohen könnte.

Branchenkenner und Experten gehen deshalb davon aus, dass die Innenstädte ihr Gesicht in den nächsten Jahren dramatisch verändern werden. Die gute Nachricht: Es könnte eine neue Vielfalt entstehen. Der DStGB etwa fordert eine gute Nutzungsmischung von Handel, Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Gastronomie und Kultur.

Sparkassen sind wichtige Akteure bei der Bewältigung des Strukturwandels

Der DStGB sieht unter anderem die Immobilieneigentümer in der Pflicht, weil sie in der Praxis einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Innenstädte haben. „Sie müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und einen eigenen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung des strukturellen Wandels leisten.“ Wie wichtig dieser Beitrag der Sparkassen zur Belebung der Innenstädte ist, zeigen drei Beispiele aus Bocholt (NRW), Schlüchtern (Hessen) und Konstanz (Baden-Württemberg). 

„Die Sparkassen sind wichtige Akteure zwischen Unternehmen, Bürgern und Kommunen. Den Sparkassen kommt deshalb eine besondere Verantwortung zu, um etwas gegen die drohende Verödung und steigende Leerstände der Innenstädte zu  unternehmen“, sagt Stefan Gärtner. Er ist geschäftsführender Direktor Institut Arbeit und Technik an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Der Stadtplaner und gelernte Bankkaufmann beschäftigt sich in seiner Forschungsarbeit unter anderem mit Sparkassen und deren Bedeutung für die Regionalentwicklung. 

Visualisierung der neuen Hauptstelle der Stadtsparkasse Bocholt. Die Arbeiten am Neutorplatz sind auf der Zielgeraden. Ein attraktiver Mix an Geschäften und Dienstleistungen wird für eine Belebung der Innenstadt sorgen.

Stadtsparkasse Bocholt: Neues Leben auf Brache

Allen drei Projekten ist eines gemein: Die teils unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Karl-Heinz Bollmann, Vorstandsvorsitzender der Stadtsparkasse Bocholt, formuliert es so: „Die eigenen und die öffentlichen Belange zu einer perfekten Kombination zu verschmelzen und dabei die Wirtschaftlichkeit des Standortes nicht aus dem Blick zu verlieren, ist die größte Herausforderung. Mit unserem Neubauprojekt am Neutorplatz ist uns dieser Spagat gelungen.“

An dieser Stelle befand sich das ehemalige Hertie-Gebäude, das lange leer gestanden hatte. 2013 erwarb die Sparkasse das 10.000 Quadratmeter große Grundstück, um dort die neue Hauptstelle zu errichten. „Die jahrelang brachliegende Fläche  in der südlichen Innenstadt wird wieder mit neuem Leben gefüllt. Der Neubau ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zur Attraktivitätssteigerung der Bocholter Innenstadt“, sagt Karl-Heinz Bollmann.

Der neu gestaltete Uferbereich lädt zum Verweilen ein

Im April wird die neue Hauptstelle ihre Tore öffnen. Bereits im vergangenen Herbst zog das Modehaus Peek & Cloppenburg in einen benachbarten Neubau ein, der von der Sparkasse erstellt wurde und an den Einzelhändler vermietet wird. Im Erdgeschoss der neuen Hauptstelle wird ein Café mit Außengastronomie einziehen. In der dritten Etage wird ein öffentlicher Coworking-Bereich entstehen. Im vierten Geschoss richtet das Bistum Münster eine Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensberatung ein.

„Dieser Mix an Geschäften und Dienstleistungen am gesamten Standort wird zu einer hohen Besucherfrequenz  beitragen“, sagt Sparkassen-Chef Bollmann. „Die Sparkasse hat viel Wert darauf gelegt, nicht in Konkurrenz zu anderen Innenstadtlagen zu treten. Deshalb haben wir nur so viel Einzelhandel entwickelt, wie es an diesem Standort notwendig ist.“

Das Neubauprojekt erfolgte in enger Abstimmung mit der Stadt. Der neu gestaltete Uferbereich der Bocholter Aa wurde gemeinsam mit der Stadtverwaltung gebildet und wird die Bevölkerung zum Verweilen einladen.

Ende 2022 oder Anfang 2023 wird die Kreissparkasse Schlüchtern ihre neue Hauptstelle am alten Standort beziehen können. Mit dem Verkauf des Areals an einen privaten Investor hatte die Sparkasse den Weg frei gemacht für eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung an einem zentralen Standort.  

Kreissparkasse Schlüchtern: „Die ganze Stadt steht hinter dem Projekt“

Auch in Schlüchtern bekommt die Kreissparkasse eine neue Hauptstelle. Das sanierungsbedürftige Hauptstellengebäude aus den 70er-Jahren wird durch einen Neubau ersetzt. Zuvor hatte die Sparkasse das Areal mit dem Hauptstellengebäude an einen ortsansässigen Investor verkauft. Dieser baut nun in Schlüchterns Mitte einen modernen Gebäudekomplex, der Ende 2022 oder Anfang 2023 bezugsfertig sein wird.

In den vergangenen 40 Jahren habe sich die Belegschaft um die Hälfte reduziert, sagt Torsten Priemer, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Schlüchtern. „Für die 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir jedoch bewusst auf einen kleineren Neubau in Eigenregie verzichtet, um die Stadtentwicklung zu fördern.

Mit dem Verkauf der Sparkassen-Liegenschaft haben wir den Weg frei gemacht für eine moderne und attraktive Bebauung in Schlüchterns Mitte, die das Stadtbild aufwerten wird.“  

Mietinteressenten stehen Schlange

Der Bauherr, ein örtlicher Bauunternehmer, band die Sparkasse eng in die Planungen mit ein. „In Schlüchtern werden wir als Gestalter wahrgenommen. Alleine hätten wir das Projekt nicht stemmen können“, erläutert Torsten Priemer.  Das Projekt „Obertorcenter“ besteht  aus zwei Gebäuden mit fünf Obergeschossen. Im neuen Hauptstellengebäude, wo die Sparkasse als Mieterin einziehen wird, entstehen zusätzliche Wohnungen.

Die Sparkasse wird nur noch weniger als die Hälfte der Nutzfläche in Anspruch nehmen im Vergleich zum alten Gebäude.

Im zweiten Gebäude auf dem hinteren Teil des Grundstücks werden weitere Wohnungen und Räumlichkeiten für Einzelhandel, Büroräume, Gastronomie und medizinische Praxen entstehen. „Die Mietinteressenten stehen Schlange“, freut sich der Sparkassen-Chef. „Mit dem Ankermieter Sparkasse, den zusätzlichen Geschäften und den neuen Bewohnern wird in der Innenstadt ein attraktiver Begegnungsort entstehen.“ 

Mit den lokalen Behörden habe man Hand in Hand gearbeitet: „Die städtebaulichen Anforderungen haben wir größtenteils alle berücksichtigen können.“ Dazu zählten unter anderem die hochwertige Gestaltung der Fassade, der Wunsch nach kleinteiligem Gewerbe sowie Wohnraum. Man habe nicht nur mit den politischen Entscheidungsträgern viele Gespräche geführt, sondern auch mit der Bevölkerung. „Dadurch haben wir eine hohe Akzeptanz erreicht. Die ganze Stadt steht hinter dem Projekt.“

Unter einem Dach vereint: In die frisch sanierte Hauptstelle der Sparkasse Bodensee wird ein Hotel, ein Gastronomiebetrieb und eine Zalando-Filiale einziehen.
Unter einem Dach vereint: In die frisch sanierte Hauptstelle der Sparkasse Bodensee in Konstanz werden demnächst eine Zalando-Filiale, ein Hotel und ein Gastronomiebetrieb einziehen.

Sparkasse Bodensee: Sparkasse, Hotel und Zalando unter einem Dach

Auch die Sparkasse Bodensee verkleinert ihre Nutzfläche in ihrer Konstanzer Hauptstelle. Der markante historische Gebäude-Komplex an der Marktstätte befindet sich am Eingang der Fußgängerzone und ist im vergangenen Jahr umfassend umgebaut und modernisiert worden.

Nach Abschluss der letzten Bauarbeiten Ende des laufenden Jahres wird die Sparkasse zusammen mit einem Hotel, einem Restaurant und einer Zalando-Filiale unter einem Dach sein (vgl. drei Fragen an Walter Lorenz).

„Bei der Vermietung der Räumlichkeiten haben wir auf eine gute Vertretung verschiedener Branchen geachtet, die das bestehende Angebot in Konstanz ergänzt“, sagt Sparkassen-Pressesprecher Wolfgang Aich. Auf Branchen, bei denen bereits ein hohes Angebot besteht, habe man deshalb verzichtet, zum Beispiel Drogerien, Haushaltswaren oder Buchhandlungen.

„Für uns war es aber auch wichtig, dass die Flächen, die wir für den eigenen Geschäftsbetrieb nicht mehr benötigen, wirtschaftlich interessant genutzt werden können.“

Mit diesem attraktiven Nutzungsmix hat die Sparkasse Bodensee einen lebendigen Treffpunkt für die Stadt geschaffen. Hier können die Besucherinnen und Besucher verweilen, sich gastronomisch verwöhnen lassen, Finanzgeschäfte tätigen und sogar mit Seeblick übernachten.

Nachhaltige Belebung der Innenstädte

Nach Stefan Gärtners Einschätzung tragen die drei vorgestellten Projekte nachhaltig zur Belebung der Innenstädte bei. Davon unabhängig wünscht  sich der Experte für Stadtentwicklung grundsätzlich eine stärkere Ansiedlung von produzierendem Gewerbe, von kleinen Handwerksbetrieben oder von Manufakturen, die handgefertigte, hochwertige und nachhaltige Produkte  herstellen oder diese reparieren.

Offene Werkstätten, sogenannte Fablabs, seien eine ideale Ergänzung dazu. In einem Fablab stehen den Kunden hochmoderne Maschinen für die Fertigung von Einzelstücken zur Verfügung. Mit einem solchen bunten Mix könne das städtische Leben noch moderner und attraktiver gestaltet werden, meint Gärtner.

Darüber hinaus erwartet er weitere positive Effekte wie die Ausweitung des Wissenstransfers oder eine stärkere Einbeziehung der Kunden in die Produktentwicklung.

Drei Fragen an Walter Lorenz, Abteilungsleiter Organisation bei der Sparkasse Bodensee

Mitte März wird die Online-Plattform Zalando in Konstanz ihren Outlet-Store in der sanierten Hauptstelle der Sparkasse Bodensee eröffnen. Die Ansiedlung von Zalando sorgte in Händlerkreisen anfangs für Unmut. Gerade kleine Geschäfte in der Altstadt befürchteten Umsatzeinbußen. Haben sich die Wogen inzwischen geglättet?
Ja. Die Angst vor Konkurrenz ist zwar verständlich, aber unbegründet. Es wird zu keinem Verdrängungswettbewerb kommen. Im Store werden ausschließlich Modeartikel oder Schuhe verkauft, die entweder aus der Vorsaison stammen oder bei denen es sich um Einzelgrößen oder um Artikel mit kleineren Mängeln handelt.

Mit diesem speziellen Sortiment will Zalando neue Kundengruppen ansprechen, die bislang nicht oder selten in der Altstadt eingekauft haben. Dazu gehören insbesondere Besucher aus der Schweiz sowie jüngere Kundinnen und Kunden, die ihre Schnäppchen üblicherweise online einkaufen.

Gab es auch positive Reaktionen?
Ja, speziell von lokalen Modehändlern. Sie rechnen mit mehr Frequenz und somit höheren Umsätzen. Auch Gastronomiebetriebe und touristische Einrichtungen werden davon profitieren, wenn dank der Zalando-Filiale die Besucherzahlen in der Altstadt steigen werden. So hat das Zalando-Outlet zum Beispiel in anderen Städten merklich zu einer höheren Frequenz der entsprechenden Einkaufsstraßen geführt.

Weshalb bekam Zalando den Zuschlag als Mieter?
Zum einen ist Zalando ein weiterer Kundenmagnet und damit eine zusätzliche Bereicherung für die Stadt Konstanz. Zum anderen ein erfolgreiches und zukunftsgerichtetes, dynamisches Unternehmen und belebendes Element für unser historisches Gebäudeensemble.

Ricardo Tarli
– 10. März 2021
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