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Kreditprozesse
Nachhaltigkeitsrisiken sind messbar
Geldinstitute sollten sich mit den Nachhaltigkeitsrisiken von Kreditnehmern auseinandersetzen, künftig wird eine verpflichtende Regulierung erwartet. Sparkassen steht bereits in Kürze ein Konzept zur Risikomessung zur Verfügung.

Das Firmenkundengeschäft der Sparkassen mit dem deutschen Mittelstand war im Jahr 2020 von der Coronapandemie geprägt. Zurzeit scheint sich das Infektionsgeschehen langsam zu entspannen, damit tritt insbesondere das Thema Nachhaltigkeit wieder deutlich in den Vordergrund. 

Zurzeit haben die Bafin-Empfehlungen zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken für Sparkassen zwar noch keinen verpflichtenden Charakter. Es wird aber erwartet, dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken im Kreditprozess bald für die gesamte Kreditwirtschaft obligatorisch wird.

Für die großen und direkt von der EZB beaufsichtigten Institute treten die Leitlinien der EBA zur Kreditvergabe und -überwachung bereits zum 30. Juni 2021 stufenweise in Kraft. Die EBA fordert von den Instituten unter anderem eine explizite Befassung mit ESG-Risiken im Kreditprozess, insbesondere von Klima- und Umweltrisiken.

Nachhaltigkeitsrisiken messbar machen

Nachhaltigkeit ist grundsätzlich kein neues Thema. Bei der Analyse von Branchenentwicklungen sind Nachhaltigkeitsaspekte seit Langem ein wichtiger Bestandteil. In den Berichten und Prognosen des DSGV-Branchendiensts sind sie an vielen Stellen fest verankert. Der Branchendienst nimmt die Veröffentlichung des Bafin-Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken jedoch zum Anlass, sich intensiv mit der Frage zu befassen, wie diese Risiken messbar werden.

Die Bafin selbst räumt ein, dass Nachhaltigkeitsrisiken wegen der schwierigen Datenlage, vieler Einflussgrößen und zahlreicher Klima- und Politikszenarien schwierig zu messen und zu steuern seien. Mit der Messung von Nachhaltigkeitsrisiken betreten also alle Akteure weitestgehend Neuland.

 

Wichtiges Ergebnis des S-ESG-Score: Von 87 untersuchten Wirtschaftszweigen weist die deutliche Mehrheit der Branchen nur geringe bis mittlere ESG-Risiken auf.

Risikokennzahl in Form eines Messwerts

Ziel des DSGV-Branchendiensts war die Entwicklung eines quantitativen ESG-Risikomaßes, das für alle Wirtschaftszweige gleichermaßen anwendbar ist. Eine Risikokennzahl in Form eines zahlenmäßigen Messwerts hat einerseits den Vorteil, schnell einen ersten Eindruck über das Ausmaß der Nachhaltigkeitsrisiken in einer Branche zu vermitteln. Andererseits wird der direkte Vergleich zwischen verschiedenen Branchen ermöglicht – etwa im Rahmen der Portfoliosteuerung. Das Ergebnis des gemeinsam mit S-Rating fortgeführten Projekts ist der S-ESG-Score.

Für den Score wurden zehn geeignete Indikatoren identifiziert, die mit spezifischen Gewichten Environment (Umwelt und Klima), Soziales und Governance zugeordnet werden. Diese drei Dimensionen werden anschließend zum S-ESG-Score zusammengefasst, der das Ausmaß der Nachhaltigkeitsrisiken einer Branche beschreibt.

Der S-ESG-Score wird für alle 1810 WZ-Codes berechnet und ist auf einer Skala von null (sehr geringe Risiken) bis 100 (hohe Risiken) kalibriert. Der DSGV-Branchendienst ordnet diesem Punktespektrum fünf diskrete Noten von A bis E zu.

Das Ergebnis der ESG-Bewertung der 87 wichtigsten deutschen Wirtschaftszweige (WZ-Code 2-Steller) zeigt, dass 15 Branchen erhöhte oder hohe ESG-Risiken aufweisen (Note D und E). Die deutliche Mehrheit der Branchen hingegen weist nur geringe bis mittlere ESG-Risiken auf (Note A bis C).

 

Branchenverteilung des S-ESG-Scores

 

Den Schwerpunkt setzt die Aufsicht auf Risiken, die aus dem Klimawandel resultieren. Diese können sich einerseits in Form physischer Risiken negativ auf die Unternehmen auswirken, häufigere Dürreperioden können beispielsweise die Landwirtschaft beeinträchtigen oder Überschwemmungen industrielle Lieferketten unterbrechen.

Risiken im Klimakontext können sich für die Unternehmen aber auch daraus ergeben, dass der Gesetzgeber schärfere regulatorische Maßnahmen ergreift, um die Klimaziele zu erreichen. Nach dem aktuellen Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts resultieren aus der Neufassung des Bundesklimaschutzgesetzes deutlich höhere Emissionsbeschränkungen für die Unternehmen.

Besonders relevante Risiken im Klimakontext

Unternehmen mit besonders hohen Treibhausgasemissionen sind also auch hohen ESG-Risiken ausgesetzt. Je höher das Verhältnis der Treibhausgasemissionen einer Branche zu ihrer Wertschöpfung ist, desto höher ist auch das finanzielle Risiko aus einer zunehmenden CO2-Bepreisung.

Kosten- und damit risikorelevant sind nicht nur die direkt von den Unternehmen emittierten Treibhausgase, sondern auch die indirekten Emissionen über die bezogenen Vorleistungen, insbesondere Elektrizität, und energieintensive Vorprodukte wie Stahl oder Glas.

Ebenso relevant sind die Emissionen, die durch die Nutzung des Endprodukts einer Branche entstehen. Gängigstes Beispiel ist die Automobilbranche. Die ESG-Risiken der Kfz-Hersteller resultieren weniger aus den Produktionsprozessen, als aus den im Lebenszyklus ihrer Produkte emittierten Treibhausgasen. Das Greenhouse Gas Protocol spricht hierbei von den verschiedenen Scopes der Emissionen, die einer Branche zuzuordnen sind.

Die Summe der direkten und indirekten Emissionen übersteigt somit die Höhe der tatsächlich ausgestoßenen Emissionen einer Volkswirtschaft, was bei der Berechnung von ökologischen Fußabdrücken aber nicht unüblich ist.

Der Treibhausgasindikator des S-ESG-Scores berücksichtigt die indirekten Emissionen aller Branchen über ein mehrstufiges Iterationsverfahren über alle 72 Vorleistungsstufen. Zusätzlich werden wichtige emissionsintensive Endprodukte mit in die Berechnung des Indikators einbezogen.

Scopes der Emissionen – Kosten- und damit risikorelevant sind nicht nur die von den Unternehmen direkt emittierten Treibhausgase, sondern auch die indirekten Emissionen über Vorleistungen, insbesondere Elektrizität, und energieintensive Vorprodukte wie Stahl oder Glas.

ESG-Score lässt sich in den Kreditprozess einbinden

Die Bafin empfiehlt, dass unter anderem im Rahmen der Kreditvergabe die relevanten Informationen zu möglichen Nachhaltigkeitsrisiken „identifiziert, analysiert und in die Entscheidungsprozesse eingespeist werden“.

Gerade im Mengengeschäft, bei dem eine individuelle kundenspezifische Nachhaltigkeitsbewertung nicht umsetzbar wäre, ist der Einsatz eines branchenbasierten ESG-Scores sinnvoll. Branchenübergreifend existieren signifikante Unterschiede hinsichtlich der Nachhaltigkeitsrisiken, sodass sich die Branche als Differenzierungskriterium gut eignet.

Der DSGV-Branchendienst stellt ab Sommer 2021 eine Excel-Anwendung zur Verfügung, mithilfe derer sich die branchenspezifischen Nachhaltigkeitsrisiken mit dem eigenen Firmenkreditportfolio matchen lassen.

Zusätzlich zu dieser Anwendung werden ab Sommer 2021 in der DSGV-Branchenprognose alle wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken in einer eigenen Textbox für jede Branche checklistenartig diskutiert.

Score ermöglicht auch kundenindividuelle Bewertungen von ESG-Risiken

Der S-ESG-Score kann darüber hinaus als Basis für die individuelle Bewertung der ESG-Risiken eines Firmenkunden herangezogen werden. Vor dem Hintergrund seiner Branche kann die individuelle Positionierung eines Kunden anhand jedes Indikators bewertet werden.

Hierauf aufbauend kann die Liste nachhaltiger Unternehmensaktivitäten der EU-Taxonomie zum Einsatz kommen. Vereinfacht ausgedrückt listet der technische Anhang der Taxonomie-Verordnung für die Branchen mit den höchsten Treibhausgasemissionen 72 konkrete Wirtschaftsaktivitäten auf, die einen positiven Beitrag zum Klimawandel leisten und somit im Einklang mit den EU-Klimazielen stehen.

Durch die Vergabe solcher Transformationskredite begleiten die Sparkassen die Unternehmen als Finanzierungspartner im Transformationsprozess hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich anhand der identifizierten Nachhaltigkeitsrisiken auch Vertriebspotenziale im Firmenkundenbereich, etwa wenn ein gewerblicher Vermieter Bedarf bei der energetischen Gebäudemodernisierung erkennt oder ein Logistikunternehmen die Fahrzeugflotte umrüsten will.

Stefan Hauschild, DSGV-Branchendienst
– 26. Mai 2021