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Akademischer Sommer
Städte und Mobilität im Wandel
Sparkassen müssen den Transformationsprozess der Innenstädte und der Mobilität aktiv mitgestalten, um ihre Regionen und sich selbst fit für die Zukunft zu machen.

Der Bonner akademische Sommer 2021 konnte mit zwei Premieren aufwarten. Zum ersten Mal firmierte er unter dem Markenzeichen Stiftung für die Wissenschaft und fand unter dem Vorzeichen der Coronaregelungen ebenso erstmals in virtueller Form statt. Die angeregten Diskussionen zu den beiden Schwerpunktthemen „Revitalisierung der Innenstädte“ nach Corona und „Mobilität der Zukunft“ verfolgte mit rund 220 digital zugeschalteten Interessierten ein neues Rekord-Teilnehmerfeld.

Repräsentanten aus Wissenschaft, Wirtschaft und von Sparkassen konnte Moderatorin Bärbel Kaatz von der Stiftung für die Wissenschaft zum Gedankenaustausch unter dem traditionellen Motto „Wissenschaft trifft Praxis“ begrüßen.

Sparkassen prädestiniert den Transformationsprozess voranzutreiben

Wie die Sparkassen von der Transformation in eine der Nachhaltigkeit verpflichteten Gesellschaft involviert werden, verdeutlichte DSGV-Präsident Helmut Schleweis in seinem Grußwort: Nach der Pandemie „ist die neue Normalität nicht die von 2019 und 2020“.

Durch ihre traditionelle Kundennähe und das große Vertrauen, das sie bei den Menschen genießen, seien Sparkassen besonders prädestiniert, die notwendigen und geforderten Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben.

Grußwort Schleweis
DSGV-Präsident Helmut Schleweis: Verdeutlichte in seinem Grußwort, wie die Sparkassen von der Transformation in eine der Nachhaltigkeit verpflichteten Gesellschaft involviert werden.

So biete Deutschlands größte Finanzgruppe zum Beispiel über die Deka nachhaltige Anlagemöglichkeiten oder unterstütze ihre Unternehmenskunden durch Beratung und Bereitstellung von Transformationskrediten bei der Anpassung von Geschäftsmodellen an die Anforderungen nachhaltiger Produktion.

Auch bei der Zukunftsgestaltung des Lebensumfeldes, der Neugestaltung von Innenstädten oder dem Aufbau umweltfreundlicher Verkehrs- und Infrastrukturkonzepte engagiere sich die Sparkassen-Finanzgruppe im gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Impuls- und Ideengeber für Neugestaltung der Innenstädte

Dass die Auswirkungen der Coronapandemie durch die monatelangen Lockdowns das Problembewusstsein für die Umgestaltung der Innenstädte noch einmal geschärft haben, darin waren sich die Teilnehmer der ersten Diskussionsrunde einig – auch wenn über den richtigen Weg durchaus kontrovers debattiert wurde.

Wuppertals Oberbürgermeister Professor Uwe Schneidewind sieht die Zukunft in multifunktionalen und vielfältigen Strukturen, bei denen sich Wohnen, Arbeit, Kultur, Kinderbetreuung und Bildung zu einem lebendigen Stadtbild ineinanderfügen. Die bergische Metropole strebe eine hohe Aufenthalts- und Erlebnisqualität an, um Raum und Voraussetzungen zu schaffen für mehr Individualität und Lebensqualität.

Bei diesem Entwicklungsprozess könnten die Sparkassen eine Schlüsselrolle spielen, indem sie die örtlichen Handelsstrukturen stärkten oder die Verquickung von lokalen Angeboten mit den immer wichtiger werdenden Internetauftritten unterstützten. Als wegweisendes Beispiel nannte Schneidewind die maßgeblichen Impulse, die die Stadtsparkasse Wuppertal bei der Entwicklung der Stadt-App „Bliggit“ gesetzt habe. Damit sei ein zentrales digitales Eingangstor zur Innenstadt geschaffen worden. Auch als Impuls- und Ideengeber für eine innovative Gestaltung der Innenstädte hätten sich Sparkassen bewährt.

Prof. Schneidewind
Prof. Dr. Uwe Schneidewind, OB Wuppertal: Mit der Stadt-App „Bliggit“ sei ein zentrales digitales Eingangstor zur Innenstadt geschaffen worden. Die Stadtsparkasse Wuppertal habe hier maßgebliche Impulse gesetzt.

Axel Jütz, Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse Wuppertal, verwies darauf, dass Sparkassen zwar keine neuen Innenstädte schaffen könnten. Sie könnten allerdings, wie sein Haus, Filialen in den Stadtquartieren so gestalten, dass sie als Anlauf- und Kontaktstellen das gesellschaftliche Leben förderten.

Durch das vernetzte Filialangebot werde den Menschen zudem das Zusammenspiel von digitalen und lokalen Angeboten vor Augen geführt, eine Entwicklung, die das Leben künftig immer stärker beeinflussen werde. Zudem fördere die Sparkasse mit der Aktion „Treuewelt“ den örtlichen Handel und sehe sich bei der Stadtentwicklung aufgrund ihrer intimen Kenntnis der regionalen Gegebenheiten als geborener Partner von Kommune, Handel und Gewerbe. 

Autonomes Fahren und alternative Mobilität

Professor Thomas Roeb vom Fachbereich BWL (Handelsbetriebslehre) an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mahnte allerdings die Sparkassen, im komplexen Spannungsfeld zwischen digitaler Innovation und persönlicher Kundenbindung ihren zentralen Vorteil der Bürgernähe nicht durch eine Ausdünnung des Geschäftsstellennetzes aus den Augen zu verlieren. Die persönliche Nähe zum Kunden sei von jeher ein markantes Merkmal für die Sparkassen, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte.

Dass Sparkassen aufgrund ihres hohen Vertrauensbonus bei den Menschen, ihrer guten Vernetzung und intimen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten als treibende Kräfte bei der Stadtentwicklung mitwirken können, war ein Fazit, dem letztlich alle Diskutanten zustimmen konnten.

Prof. Roeb
Professor Thomas Roeb, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: Die persönliche Nähe zum Kunden sei von jeher ein markantes Merkmal für die Sparkassen, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte.

In den zweiten Themenschwerpunkt „Mobilität der Zukunft“ führte DSGV-Geschäftsführer Karl-Peter Schackmann-Fallis, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung für die Wissenschaft, ein. Mobilität sei ein Grundpfeiler moderner Volkswirtschaften, allerdings veränderten sich im Zeichen des wachsenden Nachhaltigkeitsbewusstseins die Einstellungen zum Auto als alleinigem individuellen Fortbewegungsmittel.

Drei Megatrends beherrschen laut Schackmann-Fallis die Debatte um das Neuverständnis von Mobilität: „Autonomes Fahren“, „Neue umweltverträgliche Antriebssysteme“ und „Alternative Mobilität“.

Schackmann-Fallis
DSGV-Geschäftsführer Karl-Peter Schackmann-Fallis, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung für die Wissenschaft, führte in den zweiten Themenschwerpunkt „Mobilität der Zukunft“ ein.

Als die gesellschaftlich relevanteste Kreditgruppe sei die Sparkassen-Finanzgruppe in die  Transformationsprozesse erheblich involviert: Als bedeutendster Kreditgeber der von den Umbrüchen besonders betroffenen mittelständischen Unternehmen der Automobil- und Zuliefererindustrie ebenso wie als Begleiter der Kommunen auf ihrem Weg in die neue technologische Zukunft des E-Autos.

Die notwendigen Umstellungen forderten die Sparkassen sowohl als Finanziers von Investitionsvorhaben als auch bei der Bereitstellung effizienter digitaler Bezahlsysteme. Schackmann-Fallis versicherte, dass die Sparkassen ihrer besonderen Verantwortung bei der positiven Begleitung des Transformationsprozesses gerecht würden. Ihre finanzielle Leistungsstärke und ihr umfassendes Know-how gestatteten es, sachgerechte Lösungen bei den Umstellungsprozessen anzustoßen und zukunftsweisend zu begleiten.

Veränderung von Geschäftsmodellen fordert auch die Kreditgeber

Professor Stefan Bratzel, Direktor und Gründer des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, verwies in seinem Impulsvortrag auf den tiefgreifenden Paradigmenwechsel im Mobilitätssektor. Neue Marktteilnehmer wie Tesla seien dabei, die jahrzehntelange Vorherrschaft der traditionellen Automobilhersteller abzulösen.

Mit Mobility Providern wie Uber sei der Ansatz des Car-Sharings auf dem Vormarsch und multinationale Firmengiganten wie Apple, Microsoft oder Amazon verständen sich als Treiber technologischer Innovationen im Automobilsektor bis hin zum autonomen Fahren. Das Umsteuern auch in der deutschen Automobilbranche hin zu E-Antriebssystemen sei ein klares Zeichen, dass sich die Mobilitätswelt in einer Phase der Revolution befinde, der sich auch die mittelständischen Firmen der Zuliefererbranche nicht entziehen könnten.

Prof. Bratzel
Professor Stefan Bratzel, Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: Verwies in seinem Impulsvortrag auf den tiefgreifenden Paradigmenwechsel im Mobilitätssektor.

Burkhard Wittmacher, Vorstandschef der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, in deren Geschäftsgebiet die automobile Zulieferer-Branche zu den führenden Wirtschaftszweigen gehört, leitete aus dieser Perspektive zwei Handlungsmaximen für sein Haus ab: Einerseits sei es vorrangiges Ziel, betroffene Firmen aktiv bei der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle zu begleiten. Andererseits wolle man junge, innovative Unternehmen unterstützen, die ihr Geschäftsmodell auf das neue Mobilitäts-Universums ausrichteten.

Einig zeigte sich der Sparkassenchef mit  Prof. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages und DSGV-Vizepräsident, die Menschen und die Wirtschaft mit den politischen Vorgaben zur Neuausrichtung im Mobilitätssektor nicht zu überfordern. Es sei nicht wünschenswert, die Wettbewerbsstärke und Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie durch ausschließlich politisch-ideologische begründete Entscheidungen zu gefährden.

Für Henneke leidet die aktuelle Diskussion unter einer einseitigen, weil städterbezogenen Sichtweise. In der Euphorie um das Zurückdrängen des Individualverkehrs würden die Verhältnisse in ländlichen Räumen unzureichend berücksichtigt. Dort sei in weiten Teilen der ÖPNV so unterentwickelt, dass er als Alternative zum Individualverkehr nicht infrage komme. Diese Realität bei einer politisch forcierten Umgestaltung außer Acht zu lassen, könnte zu einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen Stadt und Land führen, mahnte er.

Prof. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages und DSGV-Vizepräsident: Für ihn leidet die aktuelle Mobilitätsdiskussion unter einer einseitigen, städterbezogenen Sichtweise.

Politische Vorgaben in den Kreditvergabeprozess umsetzen

Deutlich warnte der Chef des Landkreistages die Sparkassen, Marktteilnehmer aufgrund eines vermeintlich überholten Geschäftsmodells aktiv mit „zum Verschwinden bringen zu wollen“. „Sie als Sparkassen sind in der Verantwortung für Ihre jeweilige regionale Wirtschaft. Sie sind nicht dazu da, politische Vorgaben durch eine gezielte Steuerung der Kreditvergaben umzusetzen.“ Mehr Freiheit für den Markt und weniger politischen Zwang, darin waren sich Henneke und Wittmacher einig.

Auch Professorin Dr. Meike Jipp, Institutsleiterin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin, lehnt Verbote als Mittel zur Durchsetzung ideologischer Vorgaben ab: „Es gibt die menschliche Motivation mobil zu sein, diesem Bedürfnis der Menschen muss man Rechnung tragen und es bei den Zukunftsplanungen berücksichtigen.“

Sie forderte gezielte Förderanreize für die von der Umstellung auf nachhaltige Mobilitätsalternativen betroffenen Menschen, weil so die eingeleitete Transformation nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen werde.

Prof. Jipp
Professorin Dr. Meike Jipp, Institutsleiterin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin: Fordert gezielte Förderanreize für Menschen, die von Umstellung auf nachhaltige Mobilitätsalternativen betroffen sind.

Dass die von der Neuausrichtung betroffenen Firmen den Wandel erfolgreich bewältigen können, steht für Bratzel und Wittmacher außer Frage. Die zumeist mittelständischen Unternehmen des Zulieferersektors seien sehr flexibel, sie müssten sich nur auf die Anforderungen der Zukunftstechnologien einlassen, so der Sparkassenchef. Auch Bratzel hält die deutsche Automobilindustrie für innovativ genug, um im Zukunftsmarkt eine führende Rolle zu spielen.

Er mahnte allerdings zur Eile: „Denn“, zitierte er Charles Darwin, „es sind nicht die Größten und Intelligentesten, die überleben, es sind die, die sich am schnellsten anpassen können.“ Damit setzte er am Ende einer lebhaften Diskussionsrunde wohl ein einigendes Ausrufezeichen.

Pia Jankowski, Vorstandsvorsitzende der Stiftung für die Wissenschaft, verwies in ihrem Schlusswort noch einmal auf die Intention des Bonner Akademischen Sommers als ein Forum, bei dem die Wissenschaft auf die Praxis trifft und damit über den akademischen Tellerrand hinausblickt. Auch die Themenschwerpunkte dieser außergewöhnlichen Tagung hätten gezeigt, wie intensiv die diskutierten Veränderungen das Leben der Menschen beeinflussten und damit auch zwangsläufig die Sparkassen beschäftigen müssten.

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Im Gespräch (von links): 

Professorin Meike Jipp, Institutsleiterin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin;

Moderatorin Bärbel Kaatz, Stiftung für die Wissenschaft;

Professor Stefan Bratzel, Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach;

Prof. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages und DSGV-Vizepräsident sowie 

Burkhard Wittmacher, Vorstandschef der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen.

 

Julia Clegg
– 28. Juni 2021