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Coronakrise
Urlaubsparadiese in Schockstarre
Zwischen Berchtesgaden und Lindau bewegt eine bange Frage die Gemüter: Was bringt der Winter? Schließlich zählt für die Urlauberparadiese Oberbayern und Allgäu jede Saison – auch wenn Corona gerade die Region gewaltig durcheinanderschüttelt. Direkt über dem Epizentrum: die Sparkassen.

Der Online-Auftritt der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee mit dem Hashtag #GemeinsamAllemGewachsen#zamhoiden#dahoambleim#  verkündet Hoffnung und enthält eine Empfehlung zugleich. „Zamhoiden“ und „Dahoambleim“ meint nämlich auch der Landesvater im 60 Kilometer entfernten München. Zusammenhalten und daheimbleiben sind das Herzstück von Markus Söders aktuellem, ursprünglich so nicht geplantem Regierungsprogramm.

Die Aktion, in der die Kreissparkasse regionale Shops aufführt, um die lokale Wirtschaft zu stärken, läuft während einer Zeit, in der die Kurve mit den Fallzahlen auch im Landkreis Miesbach nach oben zeigt. 184 Neuinfektionen in sieben Tagen. Die Ampel steht an Tegernsee und Schliersee auf Dunkelrot.

Ringsherum das gleiche Bild. 34 Neuinfektionen  im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, 240 im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. 681 im Landkreis Rosenheim, 392 im Landkreis Traunstein und 202 in Berchtesgadener Land.

Addiert man die „aktiv mit dem Coronavirus infizierten Fälle“, kommt man am 24. November in den sechs Landkreisen auf 15.975 „bestätigte“, das heißt „aktive“ und „genesene“ Fälle. Dass seit Ausbruch der Pandemie in dieser Region Oberbayerns auch 419 Tote zu beklagen sind, ist eine weitere, bittere Zahl. Sie irritiert mindestens genauso wie fast alles, was in dieser surreal erscheinenden Zeit den Alltag bestimmt.

Manche Einschränkungen machen mürbe

Zum Beispiel die brachialen sozialen Einschränkungen. Am Mittwoch, dem Tag, an dem mit 420 Toten das Robert-Koch-Institut die bislang höchste Tagesziffer bekannt gab, beschloss die Runde der Länderchefs bei der Kanzlerin, dass der Lockdown bis zum 23. Dezember verlängert wird. Hotels, Restaurants und Studios bleiben geschlossen.

Hinzu kommen neue Abstandsregelungen für den Einzelhandel. Wie es dann im Januar weitergeht, weiß zur Stunde noch kein Mensch. Und was ist mit den Skiferien? Die Politiker versuchen es mit dem Appell, auf Reisen in Skigebiete zu verzichten.

Für das Ferienland Oberbayern verheißen diese Aussichten nichts Gutes. Mit einem Bruttoumsatz von 15 Milliarden Euro ist der Tourismus ein respektabler Wirtschaftsfaktor. 56,6 Millionen Übernachtungen und 220 Millionen Tagesreisen schmückten im noch unbeschwerten Jahr 2019 die Bilanz. 35,50 Euro gab der Tagesgast im Durchschnitt aus, was fast eine Viertelmillion Einheimische freut, denn die leben davon.

 

Hotels, Restaurants und Studios bleiben geschlossen – für das Ferienland Oberbayern verheißen diese Aussichten nichts Gutes.

Verrückte Zeiten

Statt flotten Zuwachsraten sind jetzt seit Wochen banal bis einfach erscheinende Alltagspraktiken mit ungeahnten Problemen infiziert: der „neue“ Kita- oder Schulalltag, deren Belastungen sich bis in die letzten Verästelungen von Familie und Arbeitsplatz auswirken. Oder die zusätzlichen Anstrengungen im Homeoffice, wo, vielleicht sogar unter Quarantäne, die nicht mehr vorhandene soziale Kommunikation zusätzlichen Frust auslösen kann.

Dies alles zusammen scheint die große Welt im Kleinen zu verändern. Dann liegen die Nerven blank. Das zeigen auch Berichte in den Lokalzeitungen, wo immer öfter davon die Rede ist, dass bislang eher unauffällige Personen jetzt wegen jeder Kleinigkeit ausrasten. 

Bedrohte Existenzen

Doch all dieser Stress besitzt bei Weitem nicht jenes Bedrohungspotenzial, wie es in der „8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8.BayIfSMV)“ schlummert. Mit ihr werden – Staatshilfe hin oder her – ganze Berufe und Branchen in ihrer Existenz massiv bedroht.

Der Monat November 2020, in dem mit einem zweiten „Lockdown“ von Gastronomie, Hotellerie, Fitness-Studios, Vergnügungs-, Sport- und Kulturbetrieben eine neue „Coronawelle“ gebrochen werden soll, und dessen gesetzliche Grundlage eben jene Verordnung ist, stellt nicht nur die betroffenen Unternehmen vor große Herausforderungen. Das ganze Land leidet darunter. Und jetzt geht dieser Horror auch noch bis Neujahr.

Paradies gestrichen?

Mittwochmorgen, die Sonne scheint und das Thermometer zeigt 13 Grad Celsius. Schönstes Ausflugswetter. Dass das tatsächlich so ist, sieht man spätestens an den Parkplätzen oben in Spitzingsee und am Sudelfeld. Sie sind ordentlich besucht. „Die Leute nutzen die schönen Tage, denn weiß der Henker, was noch alles kommt“, meint der Parkwächter mit Schulterzucken und fügt erklärend hinzu: „Heute hat’s wieder viele M-Schilder.“

Die Münchner. Sie treibt es wieder raus in ihr traditionelles Ferienparadies. „Man kann es sich nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn auch noch diese Rückzugsorte ausfallen sollten“, sagt Erwin Fellner. Der 65-jährige gebürtige Franke lebt in Bad Tölz und berät seit Jahren bayerische Kommunalbehörden und -politiker.

Nichts ist wie immer

Die Fahrt ins Oberland verläuft glatt. Über Garmisch, Tölz, Tegernsee, Fischbachau, Bayrischzell und Sudelfeld geht die Tour hinunter nach Oberaudorf an den  Inn. Trotzdem ist es diesmal nicht so wie immer. Keine Reisebusse, relativ wenige Norddeutsche, Holländer und Franzosen, dafür ein Paketdienst nach dem anderen. Dazwischen drei, vier ältere Urlauber-Paare aus Münster, Kiel und Bottrop. Möglicherweise besitzen sie Ferienwohnungen in Garmisch oder Mittenwald. Denn die Hotels haben gerade bis Monatsende geschlossen. 

Über der Landschaft liegt eine eigenartige Ruhe. Man spürt den heruntergefahrenen Betrieb. Ein Kölner Porsche dreht durch Rottach-Egern gemächlich seine Runden, der Fahrer scheint sich zu langweilen. „Normalerweise kommen an solchen Tagen wie heute Leute hierher, um beim Bier den Blick auf den See zu genießen“, sagt Schorsch Zoigk. Wir treffen den 64-Jährigen samt Dackel „Schnaps“ im berühmten, aber jetzt menschenleeren Biergarten des Tegernseer Brauhauses („Herzogliches Bräustüberl“) direkt am Ufer.

 

Die menschenleeren Biergärten liefern ein trauriges Bild.


Zoigk wird nachdenklich und er fragt sich: „Wo sind die bloß, die könnten hier ja auch ohne Weißbier sitzen?“ An der Tür klebt ein Zettel von „Bräustüberl“-Wirt Peter Hubert. Er hofft, dass man sich im Dezember gesund wieder sehe.

Drüben, auf der anderen Seeseite, ein ähnliches Bild: Gähnende Leere um das Fünf-Sterne-„Seehotel Überfahrt“. Heruntergefallenes Laub liegt vor der Auffahrt und die Glastür ist verrammelt. Das große handgeschriebene Plakat von General Manager Vincent Ludwig dahinter ist leider nicht zu entziffern, es steht zu weit weg.  

Ich hasse Corona

„Ich hasse  Corona“, sagt Karola Theobald. Sie kommt gerade aus dem Café Winklstüberl in Fischbachbau, vor dem sich eine lange Schlange gebildet hat. Karola Theobald trägt ein Packerl mit Tortenstücken unterm Arm. „So eine Holländer Kirschtorte bekommen Sie noch nicht einmal in Holland“, sagt sie lachend. Karola Theobald kam extra die 25 Kilometer von Rosenheim herüber, um das Gebäck zu kaufen.

Nachher hat sie vier Freundinnen zu Besuch. Das Café Winklstüberl ist seit 70 Jahren in Familienbesitz und wird von Thekla Mayrhofer geführt. 33 verschiedene Torten zieren die Speisekarte. Es scheint wohl in erster Linie die Qualität dieser Collection zu sein, die an manchen Tagen selbst Feinschmecker aus München anlockt.

Dass das Café darüber hinaus auch noch zwei weitere Besonderheiten aufzuweisen hat, weiß keiner, der noch nicht hier war. So stehen zum Beispiel überall im ganzen Haus 650 Kaffeemühlen aus allen Teilen Welt, und die Chefin selbst, die gelernte Schauspielerin Thekla Mayrhofer, dürfte dem einen oder anderen als Darstellerin in den TV-Serien „Café Meineid“ oder „Der Kaiser von Schexing“ schon mal begegnet sein. Jetzt hat der Gastro-Bereich geschlossen, aber der Thekenverkauf funktioniert.

Skeptisch ins neue Jahr

„In fünf Wochen haben wir schon das Jahr 2021“, sagt Achim Kurz. Sein Blick verrät Skepsis bei der Frage, ob denn der Horror damit zu Ende ist. Der 77-jährige Ex-Banker und  leidenschaftliche Radlfahrer aus dem Münchner Osten (Lieblingsstrecke: Inntal) wagt keine Prognose. Nur so viel: „Für unsere Generation, die immer im Frieden leben durfte, ist diese Situation sehr, sehr ungewöhnlich.“ 

Das werden sich wohl auch die vielen anderen  Menschen denken, die das Privileg geordneter Einkommensverhältnisse nicht besitzen. „Diese Ungewissheit, dass sich nichts mehr halbwegs verbindlich voraussagen lässt, kann zu körperlichen Problemen bis hin zu Depressionen führen“, sagt die Germeringer Therapeutin Anna Graba.

Dabei hängt so viel gerade für diese Region vom weiteren Verlauf der Pandemie und ihrem Umgang ab. Zwischen Berchtesgaden und Lindau ist der Tourismus auch ein Treiber des Wohlstands und, via Steuern, auch Impulsgeber für öffentliche Investitionen.

Kommunikation auf allen Kanälen

Den acht Sparkassen, die unmittelbar in der Region agieren, kann diese Entwicklung nicht gleichgültig sein. Die wegen eines „Total-Lockdown“ besonders gebeutelte Sparkasse Berchtesgadener Land bietet ihren Kunden den schnellen Zugang zu Onlinebanking an. Vorausgesetzt, die notwendige Infrastruktur (mobiles Endgerät und push-TAN-App) ist vorhanden, sind es nur noch vier Schritte.

Trotzdem sind nach wie vor alle Geschäftsstellen geöffnet. Vorstandsvorsitzender Helmut Grundner: „Wir wollen den Menschen zeigen, dass wir es nicht so machen wie zum Beispiel die Großbanken – wir werden uns nicht zurückziehen!“  Selbstverständlich gibt die Berchtesgadener Webseite auch Antworten auf die derzeit häufigsten Verbraucher-Fragen. Deshalb kann die Kommunikation gewissermaßen auf allen Kanälen erfolgen; selbst Chat ist möglich.

„Gemeinsam da durch“ will auch die Kreissparkasse Garmisch-Partenkirchen mit ihren Kunden durch diese eigenartige Zeit. Ähnlich wie die anderen Sparkassen bieten die Werdenfelser neben den digitalen Services auch eine passende Gestaltung der Kreditrahmen an. Auch hier ist der persönliche Kontakt wichtig. „Umfassende Beratung zu allen Themen – am besten mit Termin“ heißt es auf der Webseite.

 

Die Sparkassen bleiben durch vielschichtige Online-Angebote auch ohne physischen Kontakt nah am Kunden.

Kriminalität scheut keine Ausnahmezeiten

Doch so, als habe man wegen „Corona“ nicht schon genug Arbeit und Unwägbarkeiten am Hals, dürfen sich die Sparkassen derzeit auch noch mit Kriminellen herumschlagen. Von Traunstein bis Lindau informieren die Institute die Kunden auf ihrer Webseite über betrügerische Phishing-Mails: Die Ganoven wollen die allgemein etwas konfuse Stimmung nutzen und melden sich unter dem Vorwand gehäufter Onlinebanking-Schadensfälle; dann versuchen sie, persönliche Daten abzugreifen.  

Sparkassen zeigen Nähe

Die Nähe zur Kundschaft und damit auch zur Bevölkerung, seit eh und je einer der tragenden Säulen in der Sparkassen-Philosophie, kommt auf schon fast anrührende Weise in Miesbach zum Ausdruck. „Unterstützen Sie die heimische Wirtschaft im Landkreis Miesbach und kaufen Sie online bei unseren Firmen!“ heißt es beim Miesbacher Sparkassen-Auftritt.

Es folgen die Links zu 15 Adressen – von „Shoppen in Miesbach“ bis zu Costoluto Rottach Egern, dem Hersteller von Edelbränden. Der Auftritt gibt den Unternehmen die Chance, in dieser epochalen Krise nicht ganz unterzugehen. Die aktuelle Speisekarte des „Ratskeller Schliersee“ gehört ebenfalls dazu – und damit auch Spezialitäten wie  „10 Stück Schweins- und Rindswürstel vom Grill mit frischem Kren, Sauerkraut und Brot“ für 11,80 Euro. „Tägliche Abholung 17 – 19 Uhr“. 
 

 

Reinold Rehberger
– 26. November 2020