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FI / Interview – Teil 2
Schneller testen und verbessern – kundenorientiertes Arbeiten in der Praxis
Auszug aus dem Interview mit Andreas Schelling.

Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie das neue, kundenorientierte Arbeiten in der Praxis aussieht?
Schelling: Nehmen Sie das sparkassenweite Vertriebsprojekt „100.000 Girokonten“, das von der DSV-Gruppe koordiniert wird. Zielsetzung war, eine Kontoeröffnung zu bauen, mit der Sparkassen-Kunden Girokonten in der Internet-Filiale und der S-App fallabschließend eröffnen können. Früher wäre mit der Abnahme und Pilotierung der Auftrag erfüllt gewesen.

Nun haben wir aber gesagt, dass wir auch den Erfolg messen wollen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir an diesem Projekt viel gelernt haben. Gemeinsam haben wir festgestellt, welche Eingaben ein Kunde in der Anwendung einfach und schnell macht und wo er abbricht; wie rechtliche Formulierungen zu optimieren sind und wie wir zum Beispiel die Videolegitimation für den Kunden weiter vereinfachen müssen.

Welche Faktoren beeinflussen den Vertriebserfolg?
Schelling:
Bleiben wir bei dem konkreten Beispiel: Es ist ein riesiger Unterschied, ob das Girokonto in der Internet-Filiale am PC oder auf dem Smartphone eröffnet wird. Kein Kunde hat Lust, sich mit dem Smartphone mehrere Formulare herunterzuladen. Das hatte unser Prozess aber initial so vorgesehen, damit rechtlich alles sauber ist. Diesen Punkt haben wir jetzt deutlich optimiert und mit den Juristen einfachere Lösungen abgestimmt.

Ein weiteres schönes Beispiel ist die Frage an den Kunden, ob er „auf eigene Rechnung handelt“. Wenn der Berater dem Kunden gegenübersitzt, kann der ihm erklären, was dieser Satz bedeutet. Aber wenn Kunden den Satz auf dem Smartphone lesen, sind sie verunsichert und brechen den Prozess dann oft ab. Daher mussten wir uns auch hier eine bessere Lösung einfallen lassen. So haben wir viele kleine Verbesserungen in der Anwendung und in dem Prozess vorgenommen und konnten die Abschlussquoten sehr deutlich steigern.

Was nehmen Sie aus diesen Erfahrungen mit?
Schelling: Nur wenn wir es dem Kunden einfach und bequem machen und ihm eine gute Convenience bieten, werden wir mit unseren Standardanwendungen insbesondere auf dem Smartphone erfolgreich sein. Das ist ein ständiger Spagat, weil unsere Anwendungen und Prozesse die regulatorischen Anforderungen erfüllen müssen und sicher sein sollen. Auf der anderen Seite sind die Kunden insbesondere von den großen Plattformen und Fintechs einfache Prozesse mit einer hohen Nutzerfreundlichkeit gewohnt und erwarten diese natürlich auch von den Sparkassen.

Gerade beim Thema Nutzerfreundlichkeit und konsequente Kundenorientierung können wir aus meiner Sicht beispielsweise viel von Apple lernen. Apple stellt regelmäßig neue iOS-Releases bereit, die jeder Apple-Kunde ganz einfach und sicher auf seinen Endgeräten einsetzt. Gleiches gilt für die vielen Anwendungsprogramme, die jeder aus dem App-Store herunterladen und ohne Schulung und große Administration intuitiv bedienen kann. Daran wollen wir uns mit unserer Release- und Anwendungsplanung künftig ein Stück weit orientieren.

Anwendungen immer wieder verbessern, um Kundenwünsche optimal abzubilden, erfordert auch eine andere Herangehensweise an Projekte. Sie haben vorhin das Wörtchen agil benutzt. Geht die Reise der FI hin zur agilen Entwicklung?
Schelling: In Teilen sicherlich. Denn agile Projekte lassen sich wesentlich schneller abwickeln. Bisher kann der gesamte Prozess von der groben fachlichen Konzeption im DSGV-Fachausschuss über das konkrete Fachkonzept bis hin zu Programmierung, Testing und Release ein Jahr und länger dauern. Beim agilen Arbeiten können wir sehr viel schneller eine erste Version der Anwendung bereitstellen, die wir mit dem Kunden in kurzen Zyklen praxisorientiert weiter ausbauen.

Dabei können wir viele Fragen klären, die sonst erst viel später aufkommen: Ist der Standardprozess für den Kunden einfach zu verstehen? Wie ist die Abbruchquote? Stimmt die Oberfläche? Genügt das Zwischenergebnis den bankfachlichen Anforderungen? Ich bin mir sicher, dass wir mit einer kundenzentrierten, agilen Umsetzung sehr viel schneller eine Standardanwendung bei unseren Kunden in der Breite einführen werden, die echte Mehrwerte bietet.

Es wird aber auch weiterhin viele Anwendungen geben, bei denen das nicht nötig ist. Zentrale Kernbankfunktionen rund um den Buchungskern oder die Zinsberechnung müssen richtige Ergebnisse mit einer hohen Qualität liefern, da braucht es keine agilen Prozesse und Experimente. Wir haben im Vorjahr 25 Milliarden Umsätze gebucht – das muss weiter stabil und verlässlich funktionieren.

Die Zeit der langfristigen Pläne, die über Jahre hinweg abgearbeitet werden, ist dennoch vorbei?
Schelling: Detaillierte Drei- und Fünfjahrespläne für die fachliche IT-Entwicklung haben wir abgeschafft. Natürlich bringen wir weiterhin zwei große OSPlus-Releases pro Jahr auf Basis jährlich geplanter Beauftragungen. Aber gerade mit Blick auf die digitalen Kanäle ist es zielführender, wenn wir unsere Apps und die Internet-Filiale in häufigeren kleinen Schritten kundenzentriert weiterentwickeln und schneller auf Kundenhinweise und Anforderungen reagieren.

Wir müssen die Kunden stärker einbinden und mit Funktionen und Prozessen, die es ihnen einfacher machen, begeistern. Die digitalen Angebote ändern sich immer schneller und daher sind Fachkonzepte mit vielen hundert Seiten, die dann sukzessive abgearbeitet werden, keine marktgerechte Lösung für unsere Kunden.    

 

Lesen Sie hier die weiteren Abschnitte des Interviews mit Andreas Schelling:

1. „Sich auf den Stuhl des Kunden setzen“
2. Schneller testen und verbessern
3. Wachstum auch durch Corona
4. Oft nicht einfach genug
5. Stabil bei einer Milliarde Euro
6. „Es gibt eine deutliche Bewegung“
7. Weniger Stromverbrauch, weniger Papierformulare


Oder das komplette Interview im Wortlaut:  „Schneller, agiler werden, Kunden begeistern“  

 

Oliver Fischer und Peter Müller
– 13. April 2021