Interview Schackmann-Fallis, Atig, Bergmann
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Regulierung / Interview
Weniger Bürokratie wagen
Seit bald drei Jahren gelten für Wertpapiergeschäfte schärfere Regeln. Deutsche und französische Verbände machen sich gemeinsam dafür stark, entlastende Regelungen nachzubessern – im Sinne der Kunden und der Institute.

Die Regelungen für Wertpapiergeschäfte (Mifid II/Mifir) wurden Anfang 2018 erheblich verschärft. Seitdem haben sich viele Kunden über die neuen Vorgaben beschwert, die mit einem hohen Maß an Bürokratie einhergehen. Der DSGV setzt sich seit Langem für Verbesserungen ein. Der sogenannte „Mifid II Quick Fix“ – der aktuell basierend auf einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission auf europäischer Ebene verhandelt wird – bietet die Gelegenheit, einige für Kunden und Institute besonders belastende Regelungen punktuell zu korrigieren. 

In diesem Zusammenhang hat sich eine Allianz von deutschen (DSGV und Deutscher Derivate Verband [DDV]) und französischen (FBF, Amafi, afpdb) Verbänden zusammengefunden und ein Positionspapier verfasst, das in europäischen Kreisen weit gestreut wurde. Über diese nicht ganz alltägliche Allianz sprechen wir mit Karl-Peter Schackmann-Fallis (Foto oben links), Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Henning Bergmann, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Derivate Verbands, und Maya Atig, CEO beim Französischen Bankenverband (FBF – Fédération Bancaire Française).

Herr Dr. Schackmann-Fallis, wie kam es zu dem deutsch-französischen Schulterschluss für den Mifid II Quick Fix? 

Karl-Peter Schackmann-Fallis: Im kapitalmarktrechtlichen Bereich gibt es längst keine rein nationalen Fragen mehr. Aus diesem Grund stehen wir seit Längerem in engem Austausch mit den französischen Freunden und Kollegen. Dabei ist die Idee entstanden, bei bestimmten Anliegen gemeinsam vorzugehen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an dem Papier zum Mifid II Quick Fix hat gezeigt, dass es im kapitalmarktrechtlichen Bereich viele Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und französischen Markt gibt. Auf europäischer Ebene sind solche länderübergreifenden Initiativen viel überzeugender als nationale „Alleingänge“. Das ist ein sehr guter Weg zu zeigen, dass die Probleme grenzübergreifend bestehen und nicht auf einzelne nationale Märkte beschränkt sind. 

Herr Dr. Bergmann, worum geht es Ihnen mit dem Positionspapier? 

Henning Bergmann: Wir möchten dem europäischen Gesetzgeber einerseits dafür Zuspruch signalisieren, dass er viele wichtige Probleme für die Praxis erkannt hat und über den Mifid II Quick Fix schnell Abhilfe schaffen möchte. Andererseits möchten wir sicherstellen, dass die vom Gesetzgeber gewünschten Verbesserungen auch wirklich bei Privatanlegern ankommen. Zum Teil gehen die Entwürfe des Gesetzgebers auch aus unserer Sicht noch nicht weit genug. Deshalb war es dem DDV wichtig, eine Brücke zwischen den deutschen und französischen Ansätzen zu schlagen. Besonders hervorzuheben ist, dass wir uns nicht nur auf generelle Positionen verständigen konnten, sondern gemeinsam die wichtigen Punkte klar herausgearbeitet haben und konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreiten. 

Frau Atig, warum ist aus Ihrer Sicht eine deutsch-französische Initiative so wichtig im Bereich der Kapitalmarktregulierung?

Maya Atig: Die Kapitalmarktunion ist eine Initiative von größter Bedeutung für die Finanzierung der europäischen Wirtschaft, die von vielen Akteuren – wie Behörden sowie dem Finanz- und Industriesektor – unterstützt wird. Eine deutsch-französische Initiative kann eine treibende Kraft in diesem Bereich sein und es ermöglichen, Anpassungen der kapitalmarktrechtlichen Regelungen effizienter auszugestalten.
Es ist von entscheidender Bedeutung, den europäischen Gesetzgeber und die Aufsichtsbehörden davon zu überzeugen, dass die von den Anbietern vorgeschlagenen regulatorischen Entscheidungsspielräume sowohl den Emittenten (bei der Erleichterung ihres Zugangs zu den Märkten) als auch den Investoren (bei der Erweiterung des Umfangs der ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen) zugutekommen und letztlich die Finanzierung der Wirtschaft fördern.

Gibt es Punkte, die nur für die deutschen Institute relevant sind? 

Schackmann-Fallis: Interessant ist, dass wir in unseren Diskussionen solche Punkte nicht identifizieren konnten. Es ist auch wenig überraschend, dass eine europäische Richtlinie, die durch kleinteilige europäische Konkretisierungen ergänzt wird, in allen Ländern die gleichen Fragen und Probleme aufwirft. Daraus resultiert der gemeinsame Wunsch nach Verbesserungen. 

Was ist der Hintergrund für die von Ihnen vorgeschlagenen Mifid-II-Änderungen in Bezug auf Fragen der Marktinfrastruktur?

Atig: Wir wollen das Research für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) aufrechterhalten, um deren Finanzierungskosten zu senken und ihnen den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern. Wir schlagen daher vor, die komplexen und zu bürokratischen Vorgaben, die die Europäische Kommission den Marktteilnehmern auferlegt hat, aufzugeben. Stattdessen sollte das sogenannte „Bundling-Modell“ zu Research wieder zugelassen werden, das vor der Mifid II weit verbreitet war.
Nach dem Brexit unterstützen wir zudem ein „Level Playing Field“ zwischen der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA sowie die Souveränität der EU bei der Finanzierung der europäischen Wirtschaft. Wir schlagen daher vor, die parallele Anwendung von europäischen und britischen Handelsregeln für Zweigniederlassungen von EU-Unternehmen in Großbritannien zu vermeiden und sicherzustellen, dass diese nur den britischen Vorschriften unterliegen.

Die Mifid II richtet sich sowohl an Hersteller als auch an Vertriebsstellen. Kann es sein, dass es mehr gemeinsame Positionen zwischen den von Ihnen vertretenen und den französischen Herstellern gibt als zwischen deutschen Herstellern und deutschen Vertriebsstellen? 

Bergmann: Diese Wahrnehmung habe ich nicht. Die Mifid II enthält etliche Vorgaben wie die Product Governance oder die Kostentransparenz, die ein enges Zusammenwirken von Emittenten und Vertriebsstellen erfordern. In den meisten Fällen müssen die Vertriebsstellen mit Informationen der Hersteller zu ihren Produkten arbeiten. Gerade bei diesen Punkten besteht ein großer Gleichlauf zwischen den Positionen von Herstellern und Vertrieb: Beide wollen, dass der erforderliche Informationsaustausch auf ein Maß beschränkt wird, das in der Praxis umsetzbar ist. Hier gibt es große Einigkeit zwischen Deutschen und Franzosen.

In dem Positionspapier wird auch eine Vereinfachung der Informationsanforderungen für professionelle Kunden gefordert. Würden Sie uns bitte den Hintergrund zu dieser Forderung erläutern?

Atig: Die vorgeschlagene Ausnahme für professionelle Kunden ist grundsätzlich positiv. Die Möglichkeit des Opt-in für professionelle Kunden, die eine Prüfung jedes Einzelfalls erfordert, wird für die Banken in der EU allerdings zu mehr Komplexität und höheren IT-Kosten führen, während der Zweck des Mifid II Quick Fix darin besteht, den bürokratischen Aufwand zu verringern. Wir sind der Meinung, dass die Opt-in-Möglichkeit abgeschafft werden sollte, um die Ziele des Mifid II Quick Fix auch tatsächlich zu erreichen.

Der europäische Gesetzgeber geht noch einen Schritt weiter und verlangt auch, dass Informationen gegenüber geeigneten Gegenparteien erteilt werden. Danach erhalten auch Ihre Mitglieder bestimmte Informationen, wenn sie mit anderen Banken handeln.

Bergmann: Wir sind uns alle einig, dass der Gesetzgeber hier über das Ziel hinausgeschossen ist, indem er die anlegerschützenden Vorschriften auf Geschäfte mit Banken oder Versicherern ausgedehnt hat. Im Retail-Geschäft kann man vielleicht an einigen Stellen noch unterschiedlicher Meinung sein, ob bestimmte Informationen sinnvoll sind oder nicht. Aber bei den geeigneten Gegenparteien herrscht allgemeiner Konsens, dass man sich hier auf Augenhöhe begegnet. Die bestehenden Informationspflichten braucht es nicht. Wir begrüßen es daher sehr, dass die Kommission diese Vorgaben abschaffen will. Dies wäre ein großer Fortschritt für alle Beteiligten.

Der Gesetzgeber möchte die papierhafte Übermittlung von Informationen zugunsten der elektronischen Bereitstellung ersetzen. Ein überfälliger Schritt?

Schackmann-Fallis: Wir fordern bereits seit Langem, dass Informationen nicht ausschließlich auf Papier, sondern vorrangig elektronisch übermittelt werden können. Dass die EU-Kommission diesen Vorschlag aufgreift, halten wir für den richtigen Schritt zur richtigen Zeit. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und Nachhaltigkeitsbestrebungen wirkt die Pflicht zur papierhaften Information schlicht wie aus der Zeit gefallen. 

Warum wird in dem Papier gefordert, bestimmte Produkte von den Product-Governance-Regeln auszunehmen?

Atig: Die vorgeschlagene Ausnahme der Produkt-Governance-Anforderungen für Unternehmensanleihen mit sogenannten „Make-Whole-Klauseln“ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir verstehen jedoch nicht, warum die Ausnahme so eng gefasst ist, wenn man bedenkt, dass Aktien und einfache „Plain Vanilla“-Anleihen für die Finanzierung von Unternehmen ebenso wichtig sind wie Anleihen mit Make-Whole-Klauseln – gerade auch im Hinblick auf die Erholung der Wirtschaft von der Pandemie. Diese Finanzinstrumente werden gleichfalls zur dringend benötigten Kapitalbeschaffung begeben. Daneben ist der Mehrwert der Produkt-Governance-Anforderungen für diese einfachen „Plain Vanilla“-Produkte sehr fraglich.
Nach unserer Meinung sollten zudem auch alle Transaktionen, die mit geeigneten Gegenparteien getätigt werden, von der Anwendung der Produkt-Governance-Anforderungen ausgenommen werden. Wir begrüßen daher den diesbezüglichen Vorschlag des Europäischen Parlaments.

Herr Dr. Schackmann-Fallis, Sie haben die Vorschläge für den Mifid Quick Fix sehr positiv bewertet. Besteht angesichts dessen überhaupt noch die Notwendigkeit für Verbesserungen? Oder ist der reguläre Review obsolet?

Schackmann-Fallis: Der reguläre Review ist unverändert wichtig. Denn einige Themen hat der Gesetzgeber bewusst ausgeklammert, etwa weil sie keinen Coronabezug haben oder es sich um Themen handelt, die zwischen den Mitgliedsstaaten kontroverser diskutiert werden, beispielsweise einige Themen aus dem Bereich Marktinfrastruktur. Das darf nicht unter den Tisch fallen. Daher begrüßen wir es sehr, dass der europäische Gesetzgeber bereits angekündigt hat, diese Fragen nächstes Jahr im Rahmen des regulären Mifid-Reviews in Angriff zu nehmen.

Ist die deutsch-französische „Partnerschaft“ ein einmaliger Zusammenschluss oder ein Modell für die Zukunft?

Schackmann-Fallis: Wir werden den deutsch-französischen Gesprächsfaden auf jeden Fall aufrechterhalten. Dies ist nicht das erste Thema, zu dem wir kooperieren, und es wird auch nicht das letzte sein! 

Bei welchem Gesetzesvorhaben sehen Sie neben der Mifid II den größten Handlungsdruck und gemeinsame Positionen, sodass es sich als nächstes gemeinsames Projekt anböte?

Bergmann: Angesichts der gravierenden Mängel der Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte, den sogenannten Priips-Kids, brauchen wir unbedingt eine Reform der Priips-Verordnung. Die drei europäischen Aufsichtsbehörden konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag zum Priips-Review einigen. Jetzt liegt der Ball bei der EU-Kommission. Das Dilemma der Verordnung liegt im Widerspruch zwischen der Vergleichbarkeit von Finanzprodukten und der Verständlichkeit der Informationen. Standardisierte Informationsblätter lassen sich nun einmal nicht auf alle Produkte sinnvoll anwenden. Wir sehen die Flickschusterei auf der Ebene von Umsetzungsstandards kritisch. Mehrmalige Anpassungen des europäischen Rechtsrahmens sollten wir vermeiden, weil sie den Aufwand der Umsetzung erheblich vergrößern. Das belastet die Branche und verwirrt Privatanleger.

Schackmann-Fallis: Das kann ich nur unterstützen, würde aber stärker die Fonds in den Blick nehmen. Schließlich läuft die Ausnahme für Fonds Ende 2021 aus, sodass diese ab 2022 unter die Priip-VO fallen. Da die aktuellen Regelungen zuvor unbedingt verbessert werden müssen, muss der Gesetzgeber schnell tätig werden. Da die bestehenden Regelungen zu den wesentlichen Anlegerinformationen nicht automatisch enden, wenn die Priip-VO auf Fonds erstreckt wird, würden die Anleger ohne Tätigwerden des Gesetzgebers für Fonds zukünftig sogar zwei parallele Informationsblätter mit zum Teil widerstreitenden Inhalten erhalten. Das muss verhindert werden!

Atig: Wir unterstützen nachdrücklich die Finanzierung der Wirtschaft im Rahmen der Erholung von der Covid-19-Pandemie. Die nächste gemeinsame deutsch-französische Initiative könnte daher darin bestehen, eine Überprüfung anderer Regulierungsbereiche, insbesondere der aufsichtsrechtlichen Vorgaben (Basel), zu fordern. In diesem Zusammenhang ist ein praxisorientierter Review der regulatorischen Anforderungen an Verbriefungen, der im nächsten Jahr geplant ist, von entscheidender Bedeutung.
Aktuell behindern die aufsichtsrechtlichen Zwänge im Bereich der Verbriefungen die Erleichterung der Bilanzen der EU-Banken und laufen daher der Finanzierung der EU-Wirtschaft zuwider.

 

20. Oktober 2020