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Brexit
Erheblicher Rückschritt
Der 31. Dezember und damit der Brexit-Termin rücken näher. Firmenkunden der Sparkassen mit Geschäft in Großbritannien leiden unter der unsicheren Lage. Doch es gibt auch Profiteure.

Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (VK) stehen kurz vor dem Ende. Es droht ein Auseinandergehen ohne Deal, ein „Hard Brexit“. Auf Firmenkunden der Sparkassen mit Geschäft im VK kommen erhebliche Veränderungen zu – etwas, das sie in Coronazeiten ganz und gar nicht brauchen.

„Je wichtiger das Geschäft in oder mit Großbritannien ist, desto mehr beschäftigen sich auch die Unternehmen mit dem Brexit“, sagt Harald Roos, Vorstandsmitglied der Frankfurter Sparkasse und unter anderem zuständig für Firmenkunden.

Im Falle eines „harten“ Brexit müssten diese sich mit völlig neuen Situationen beschäftigen, wie zum Beispiel mit Zöllen auf WTO-Basis, mit Zulassungen für Produkte und Anlagen oder mit zeitlichen Verzögerungen aufgrund von möglichen Zollkontrollen an den Grenzen.

Manche Unternehmen haben die Unsicherheit in den letzten Jahren zum Anlass genommen, ihre wirtschaftliche Verflechtung zu Geschäftspartnern in Großbritannien grundsätzlich zu überprüfen: Sie haben Zuliefererbeziehungen ausgetauscht oder auch Abnehmer auf der Insel durch andere Märkte ersetzt. Andere Unternehmen haben ihre Produktionsstätten auch ganz geschlossen.

Unsicherheit ist gewachsen

Die Sparkasse Koblenz hat drei Unternehmenskunden mit agilen Geschäftsbeziehungen zum VK. „Diese Kunden beschäftigt das Brexit-Thema schon seit dem EU-Mitgliedschaftsreferendum vor gut vier Jahren, auch wenn zwischenzeitlich die Hoffnung bestand, dass man sich einen Austritt auf britischer Seite noch einmal überlegt“, sagt Matthias Nester, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Koblenz.

Seit der Wahl von Premierminister Boris Johnson habe die Unsicherheit noch einmal zugenommen, zumal von ihm ein harter Brexit immer wieder thematisiert werde. „Die deutliche Abwertung des Pfundes seit dem letzten Jahr hat den Export eines Kunden erschwert, andere haben aber Rohstoffe und Vorprodukte günstiger einkaufen können“, so Nester.

„Die Abwertung des Pfundes hat den Export eines Kunden erschwert, andere haben Rohstoffe und Vorprodukte günstiger einkaufen können.“

Matthias Nester, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Koblenz

„Das politische Geschacher ist unwürdig“

Die Sparkasse rät zu vorsichtiger Planung, denn was an neuem Verwaltungsaufwand in Form von notwendigen Zollpapieren, an logistischen Herausforderungen bei der Abwicklung an der Grenze und an weiteren Währungsschwankungen auf die Unternehmen zukomme, wisse niemand. „Unsere Kunden sind nicht vom VK-Geschäft abhängig, man wartet ab, was kommt und geht mit vorsichtigen Prognosen ins neue Jahr“, so Nester.

Der Vorstandsvorsitzende verweist darauf, dass viele Unternehmen nach neuen Geschäftspartnern Ausschau gehalten hätten, die einen möglichen Ausfall sowohl auf der Abnehmer- als auch auf der Lieferantenseite  kompensieren könnten.

„Der britische Handel ist mehr von der EU abhängig als umgekehrt und deshalb ist die ,splendid isolation‘, in die man sich begeben hat, unverständlich. Das politische Geschacher auf britischer Seite hat jedenfalls nichts mehr mit partnerschaftlichem Verhalten zu tun und ist den bisherigen Beziehungen unwürdig“, resümiert Matthias Nester.

Erhebliche Risiken

Aus Bankensicht ist gegenüber Firmenkunden insbesondere auf das Währungsrisiko hinzuweisen. Die Frage ist: In welcher Währung werden Produkte und Dienstleistungen gezahlt und in welcher Währung werden Gewinne ausgewiesen?

„Bei den jüngeren Währungsschwankungen können sich eingeplante Gewinnabführungen einer britischen Tochter an die deutsche Muttergesellschaft schnell in Richtung null bewegen. Das kann dann für die Unternehmenssteuerung in der Muttergesellschaft  erhebliche Risiken bergen. Manche Unternehmer sind sich über diesen Zusammenhang nicht hinreichend bewusst“, so Vorstandsmitglied Harald Roos.

Regelmäßige Kundengespräche

Die Firmenkundenbetreuer der Frankfurter Sparkasse führen mit ihren Kunden regelmäßige Gespräche, in denen auf diese Entwicklungen eingegangen wird. Die Checklisten der IHKen oder des DIHT seien ein guter Anhaltspunkt, aber zuallererst für die Unternehmen selbst, um gute Handlungsleitfäden zu haben.

„Wir als Sparkasse können unsere Firmenkunden dank langer Geschäftsbeziehungen und hoher Vertrautheit mit dem Geschäftsmodell individueller beraten, als es alleine mit Checklisten möglich wäre und auf Risiken oder Schwierigkeiten hinweisen“, sagt Roos.

Abhängigkeiten und Währungsrisiken, die Kosten- und Wettbewerbsstrukturen beeinflussen, dürften mit ihren Auswirkungen auf die Finanzierungssituation von Unternehmen nicht unterschätzt werden. „Hier brauchen wir eine hohe Awareness und Aufmerksamkeit der jeweiligen Unternehmen“, sagt der Firmenkundenvorstand.

„Wir als Sparkasse können unsere Firmenkunden individueller beraten, als es alleine mit Checklisten möglich wäre.“

Harald Roos, Vorstandsmitglied der Frankfurter Sparkasse

Finanzplatz Frankfurt profitiert

Die Frankfurter Sparkasse, die in die Initiativen am Finanzplatz Frankfurt eingebunden ist, beobachtet den Brexit auch aus diesem speziellen Blickwinkel. Frankfurt hat – im Wettbewerb mit Paris, Amsterdam und Dublin stehend – zahlreiche neue Finanzinstitute akquirieren können, die aufgrund des Passporting-Wegfalls  Tochtergesellschaften in den EU-27 auf- oder zumindest ausbauen mussten.

Nach Angabe von Frankfurt Main Finance, einer Lobbyorganisation für den Finanzplatz, sind bislang mehr als 60 Anträge von über 50 Finanzinstituten bei der deutschen Aufsicht eingegangen. Über 50 wurden bereits positiv beschieden. 30 Institute haben Frankfurt als Sitz ihrer Europa-Zentrale gewählt, davon vier der sechs größten US-Banken, vier der fünf größten japanischen Banken und zwei der vier größten britischen Banken.

Mit dem wichtigen Geschäft gingen damit für den Finanzplatz London auch attraktive Steuereinnahmen verloren. Wie sehr Finanzgeschäfte in London zukünftig – wie von der britischen Regierung erhofft – von einer regulatorischen Arbitrage profitieren können, ist noch offen.

Harald Roos zeigt sich skeptisch: „Ich glaube nicht, dass die europäische Bankenaufsicht das ohne Reaktion hinnehmen wird, da sie sich so möglicherweise Risiken durch die Hintertür einkaufen würde.“

Einbruch bei Fahrzeugen

Blickt man auf die Wirtschaftssektoren, so leidet insbesondere der Automobilsektor erheblich unter dem derzeitigen Wirtschaftseinbruch. 40 Prozent der Pkw-Einfuhren aus Deutschland brachen weg, dies entspricht der Zahl der verminderten Neuzulassungen im VK zwischen Januar und August 2020 im Vergleich zum Vorjahr.

Sollte es nicht zu einem Abkommen kommen, erwartet der britische Automobilverband SMMT eine durchschnittliche Mehrbelastung von 1600 Euro pro auf die Insel importiertem Fahrzeug. Im Falle eines No-Deal-Szenarios stehen auch die Automobilfabriken im VK unter Druck, denn ein Großteil ihrer Produktion wird in die EU exportiert.

Manche Unternehmen spüren bereits jetzt Verzögerungen bei der Lieferung von Ersatzteilen.

Der Brexit trifft nicht nur die großen Player in der Automobilbranche, sondern auch kleinere Unternehmen wie das von Ralf Gemming. Er machte vor über 25 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Udo sein Hobby zum Beruf und restauriert, wartet und handelt seitdem Oldtimer.

Viele dieser Wagen sind britische Modelle, zum Beispiel Jaguar E-Type oder Aston Martin. Ein Viertel der Ersatzteile, die G & S Roadster in Landau (Südpfalz) verbaut, werden aus dem VK bezogen, dazu beschäftigt man eigens auch einen britischen Mitarbeiter.

„Wirtschaftlicher Totalschaden“

Derzeit sind diese Teile innerhalb von ein bis zwei Tagen verfügbar. „Das wird sich sicherlich mit dem Brexit ändern, Zölle und Steuern ebenso“, so Ralf Gemming. Bisher hat er die Information, dass auf britische Waren gezahlte Steuern von der Regierung zurückerstattet werden, ob das so bleibt, ist fraglich.

Schon heute bestehen Handelsbeeinträchtigungen: „Es wird schwieriger, manche Ersatzteile zu beziehen, weil Geschäftspartner auf der Insel aufgeben mussten. Für viele britische Unternehmen ist schon jetzt der Brexit ein wirtschaftlicher Totalschaden“, so Gemmings Erfahrung.

Dass sich seine Befürchtungen zum Lieferverzug bewahrheiten könnten, wurde bei einer Anhörung im britischen Parlament Ende September deutlich. Dem dort von Staatssekretär Michael Gove präsentierten „Reasonable Worst Case Scenario“ zufolge ist die Hälfte der großen und bis zu 80 Prozent der kleineren Speditionsfirmen nicht auf die kommenden EU-Grenzkontrollen vorbereitet. Als Konsequenz könnten auf britischer Seite bis zu 7000 Lkw im Stau stehen.

Aktuelle Informationen zum Thema Brexit finden Sie auf den Webseiten der IHK.

Informationen zum Thema Brexit von der EU-Kommission lesen Sie hier.

 

 

Bettina Wieß
– 11. November 2020