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Interview / Kommunale Entwicklung
„Sparkassen sind etwas Gigantisches“
Die Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft braucht die gemeinschaftliche Kraft der lokalen Akteure, sagt Prof. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags. Im Interview spricht er über die finanziellen Spielräume der kommunalen Träger, über Fusionstreiber bei Sparkassen und Strukturfragen.

Herr Prof. Henneke, die Bundesregierung hat ein umfassendes Konjunkturpaket aufgelegt – genug, um das Jahr 2020 zu meistern?

Henneke: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist insgesamt eine beachtliche politische Leistung in der gegenwärtigen Situation. Corona war der Anlass, dort aufzuräumen, wo die Ursachen eigentlich tiefer liegen und was uns schon länger beschäftigt: Breitband, Digitalisierung, Schule, Gesundheit.

Aus kommunaler Sicht sind aber nicht die populären Maßnahmen wie die Mehrwertsteuersenkung das Entscheidende, sondern dass wir die lokale Wirtschaftskraft insgesamt erhalten. Also Handwerker und Mittelstand, den Tourismusbereich, die Reisebranche, das Veranstaltungswesen, den Einzelhandel. Denn davon leben die Menschen – und auch die kommunalen Strukturen. 

Wie verändern die Beschlüsse die finanzielle Situation der Kommunen?

Der Bund hat zugesagt, 5,9 Milliarden Euro an entfallender Gewerbesteuer auszugleichen. Und er gibt weitere 2,5 Milliarden Euro für regionale Bedarfe, entgangene Fahrgelder im ÖPNV zum Beispiel. Das will ich als Krisenhilfe durchaus würdigen. Langfristig bedeutsamer aber ist, wie Bund und Kommunen zukünftig die Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger unter sich aufteilen. Das ist eine jahrelange Diskussion, bei der es um Kosten der Kommunen von jährlich 14 Milliarden Euro geht. 

 

„Langfristig bedeutsam ist, wie Bund und Kommunen zukünftig die Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger unter sich aufteilen.“

 

Wo lag das Problem?

Die Kommunen wollen das Thema Wohnen für bedürftige Menschen, die direkt bei ihnen leben, selbstbestimmt entscheiden. Unser großes Engagement seit 15 Jahren wäre sonst einfach verschüttet. Über eine Grundgesetzänderung soll nun ermöglicht werden, dass der Bund deutlich höhere Kostenanteile übernehmen kann als bisher, die Aufgabe selbst aber in kommunaler Hand bleibt. Das ist ein großer Sieg für die kommunale Selbstverwaltung. 

Wie stark werden die Kommunen dadurch entlastet?

Die Kommunen werden nun jährlich um rund 3,5 Milliarden Euro entlastet – vor allem die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie die stark verdichteten Gebiete im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Die Hauptbeträge landen dort. Der ländliche Raum profitiert deutlich weniger, trotzdem haben wir zugestimmt und eine solidarische Lösung gefunden, damit gerade diese Kommunen an Investitionskraft zulegen und auch ihre Kassenkredite auf Sicht leichter abbauen können.  

Ist das Thema Altschulden damit abgeräumt?

Es wäre aberwitzig, das jetzt wieder aufzumachen. Der Altschuldentilgungsfonds hätte den betroffenen Kommunen fünf- bis sechshundert Millionen Zins- und Tilgungsaufwand im Jahr gespart. Jetzt sind es 3,5 Milliarden Euro für alle Kommunen. Außerdem haben wir im Grundgesetz eine Verantwortungszuordnung, die davon ausgeht, dass jeder das macht, wozu er verpflichtet ist.

 

„Im Grundgesetz haben wir eine Verantwortungszuordnung, die davon ausgeht, dass jeder das macht, wozu er verpflichtet ist.“

 

Der Bund verteilt die Steueranteile und die Länder sorgen über Finanzzuweisungen an die Kommunen dafür, dass jeder genug hat. Wenn das so ist, kann das Altschulden- oder das Kassenkreditthema eigentlich gar nicht entstehen. Dann gibt es auch keine „armen“ Kommunen. Jedenfalls ist es auf der Bundesebene endgültig vom Tisch.

Da das Altschuldenthema nur in einigen Ländern eine Rolle spielt, muss speziell dort etwas falsch gelaufen sein? 

Ja, und dann ist es falsch, einen allgemeinen Aufruf zur Solidarität zu machen. Wir haben 2017 die Bund-Länder-Finanzbeziehung neu geregelt – so, dass alle hinkommen können. Da kann ich nicht zwei Jahre später kommen und sagen: Ich mach noch mal eine Rechnung über 45 Milliarden Euro auf, vor allem weil einige Länder ihrer Verantwortung gegenüber den Kommunen nicht nachgekommen sind. Das hatte mit Corona überhaupt nichts zu tun. Und deshalb hat es den Altschuldentilgungsfonds auch nicht gegeben. Ich hoffe, dass diese Diskussion endlich ein Ende findet. 

 

„Schlaglöcher im Asphalt, ausgepumpte Schwimmbecken und andere Leidensgeschichten sind nicht mein Bild von der kommunalen Realität in der Bundesrepublik.“

 

Sie möchten am liebsten nicht mehr über finanzschwache Kommunen reden?

Das tue ich seit 27 Jahren. Aber Schlaglöcher im Asphalt, ausgepumpte Schwimmbecken und andere Leidensgeschichten sind nicht mein Bild von der kommunalen Realität in der Bundesrepublik. Das, worüber wir jetzt eigentlich reden müssen, sind der leistungsfähige dezentrale Staat und die dezentralen Sparkassen. Wir sind stolz, wie wir jetzt diese Krise bewältigt haben, weil die Leute vor Ort mit Verantwortungsbewusstsein gehandelt und Aufgaben wahrgenommen haben. 

Sind die Klagen nicht berechtigt?

Dieses Gejammer macht uns so klein. Kommunale Selbstverwaltung und auch Sparkassen sind etwas Gigantisches. Wir bewältigen große Aufgaben. Wir brauchen Eigenmittel und Eigengestaltung. Ich bin jedenfalls stolz drauf, dass in der Verfassung seit der Zeit der Weimarer Republik eine Selbstverwaltungsgarantie und damit letztlich genau diese Eigenverantwortung verankert ist.

Und ich erinnere auch gern an einen Ausspruch des früheren DSGV- und späteren Bundespräsidenten Horst Köhler: „Jammern füllt keine Kammern.“ Selbstverwaltung heißt: machen können, aber dann auch machen.

 

„Selbstverwaltung heißt: machen können, aber dann auch machen.“

 

Es wird zu stark nach fremder Hilfe gerufen?

Wir vermischen und verwischen Einfluss. Für die Steuerausfälle durch Corona können die Kommunen nichts und auch nichts für die Wohnkosten von SGBII-Beziehern. Deshalb ist es gut, dass der Bund sich daran künftig noch stärker beteiligt. Im öffentlichen Gesundheitsdienst der Landkreise und kreisfreien Städte will sich der Bund aber auch betätigen, mit vier Milliarden Euro. Dafür sagt er dann, wie ein Mustergesundheitsamt aussieht.

Doch das muss in einem Landkreis in der Eifel vielleicht ganz anders aussehen als in der Uckermark. Wir haben nicht darauf gewartet, dass jetzt irgendjemand aus Berlin sagt: „Jetzt geben wir euch mal ein Muster.“ Wir Landkreise sind es gewohnt, uns fachlich an die Situation vor Ort anzupassen – obwohl gerade Kreisverwaltungen deutschlandweit in etwa gleiche Strukturen haben. 

 

„Wir haben nicht darauf gewartet, dass irgendjemand aus Berlin sagt: ,Jetzt geben wir euch mal ein Muster.‘“

 

Manche nennen es aber auch einen Flickenteppich. Und viele Aufgaben, die zum Beispiel eine einzelne Sparkasse heute hat, sind regional gar nicht mehr zu bewältigen, etwa im Bereich der IT oder der Digitalisierung. 

Entscheidend für Sparkassen ist die Frage: Was ist für ihr Geschäft nicht ersetzbar? Das sind der Kundenkontakt vor Ort, das Wissen um den Kunden, die Beratung und so weiter. Das ist in der kommunalen Selbstverwaltung ähnlich, aber bei Sparkassen ist die Möglichkeit der Standardisierung von Produkten viel größer.

Sie müssen nicht 400 Mal selber backen, wenn Sie industriell fertigen und dadurch günstiger produzieren können. Das geht in der Sozialverwaltung viel schwerer. Wir Landkreise sind im Kern Solitäre, die viele personenzentrierten Leistungen passgenau erbringen müssen.

Plädieren Sie für eine Abgabe von Kompetenzen in den Verbund?

Sparkassen und Kommunen stehen vor ähnlichen Entscheidungen: Erstens – ist etwas digitalisierbar? Und zweitens – wenn es keinen Personenbezug gibt, muss sich dann jemand vor Ort darum kümmern – oder kann das auch von woanders kommen? Wenn man sich der Digitalisierung wirklich stellt, kann das Strukturen verändern. 

Aber das Grundkonstrukt, mit fachlicher Zuständigkeit, mit einem überschaubaren Gebiet und mit Leuten, die entscheiden und wissen, was sie da tun – das ist wichtig. Auch für Sparkassen.

 

„Wenn man sich der Digitalisierung wirklich stellt, kann das Strukturen verändern.“

 

Wie viele Sparkassen wird es in Zukunft geben?

Ich kann keine konkrete Zahl nennen, wie viele man braucht. Fest steht – bisher hatten wir mehr Sparkassen als kommunale Träger, inzwischen ist es umgekehrt. Trotzdem können Sie, wenn Sie die Richtigen miteinander verschmelzen, noch eine ganze Reihe von Fusionen durchführen, ohne dass sich die Strukturfrage stellt.

Es muss nur überschaubar bleiben. Die Kreise und kreisfreien Städte haben im Schnitt um die 200.000 Einwohner. Deshalb dürfen gerade die größten Sparkassen nicht immer noch größer werden. 

Bei den Sparkassen gibt es, anders als bei Kommunen, mehrere Fusionstreiber: Regulatorik, Digitalisierung, Zinssituation, Wettbewerb.

Wir hatten früher Tausende selbstständige Sparkassen. Aber man muss auch realistisch sein. Wir dürfen das nicht als Sieg oder Niederlage empfinden. Der DSGV versucht im Gespräch mit dem Bund und der EU dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Sparkassen vernünftig gesetzt werden, sodass die Besonderheiten der einzelnen Mitglieder zum Zuge kommen. Wir werben mit dem DSGV gezielt dafür, zwischen den Geschäftsmodellen Großer und Kleiner in der Regulierung zu unterscheiden. 

 

„Wir werben mit dem DSGV gezielt dafür, zwischen den Geschäftsmodellen Großer und Kleiner in der Regulierung zu unterscheiden.“

 

Die Sparkassengruppe diskutiert gerade, wie sie zu veränderten Prozessen kommen kann. Was ist bei Kreisen und Sparkassen gleich?

DSGV-Präsident Helmut Schleweis engagiert sich stark dafür, eine Verbandsorganisation zu schaffen, die Doppelarbeit für Sparkassen vermeidet. Das ist letztlich auch bei den Kreisen gefragt. Kreise vor Ort sind Bündelungseinrichtungen. An der Spitze einer Kreisverwaltung braucht es hohe Fachlichkeit und hohe Flexibilität des Zusammendenkens. Man kann insofern beispielsweise Ämter für Gesundheit, Veterinärwesen, Agrar und so weiter integriert betrachten. 

Was spricht dagegen? 

Die Betroffenen wollen das oftmals nicht und glauben, sie würden dann nicht mehr gleichviel gelten. Dabei hat etwa die Kommunalisierung der Gesundheitsämter dazu geführt, dass sie öffentlich im Kreistag gehört wurden und ihre Belange vorstellen konnten. Und plötzlich hatten sich alle damit identifiziert. Das hilft sehr bei der lokalen Verankerung.

Ist dies auf die Strukturfragen der Sparkassen-Finanzgruppe übertragbar?

Ich teile die Grundüberlegung, die hinter dem geplanten gemeinsamen Spitzeninstitut steht. Die Sparkassen haben wichtige persönliche Kontakte vor Ort. Das bedeutet nicht, dass sie jedes Produkt selbst erfinden müssen. Ich kann vor Ort die Vorteile liefern und die anderen Aufgaben vergeben. Überschaubarkeit und Kundenkenntnis kann auch nur die Sparkassenebene für sich in Anspruch nehmen, nicht die Landesebene. 

Und was Sparkassen nicht brauchen, sind Konkurrenzverhältnisse zwischen gleichen Leistungserbringern in derselben Organisation, die sich auch noch räumlich überlappen.

 

„Was Sparkassen nicht brauchen, sind Konkurrenzverhältnisse zwischen gleichen Leistungserbringern in derselben Organisation, die sich auch noch räumlich überlappen.“

 

Was hat Sie in der Coronazeit bei den Sparkassen und Kreisen beeindruckt – und was steht jetzt an?

Beeindruckt hat mich, was der Tausendfüßler bewegen kann, wenn er einer gemeinsamen Idee folgt. DSGV und FI hatten schnell eine Lösung entwickelt, wie man die Zuschüsse für Selbstständige über die Systeme der Sparkassen hätte leiten können. Da waren die schneller als die Politik.

Schade, dass es in Berlin abgelehnt wurde. Jetzt steht an, dass wir uns bundesweit damit befassen, dass der ländliche Raum allmählich zurückfällt. Wir müssen in Ortsbindung investieren und das auch bei den Sparkassen stärker verinnerlichen.

Wie können die, die vor Ort leben, das selbst in die Hand nehmen?

Da gibt es zum Beispiel das Projekt „Hauptamt stärkt Ehrenamt“. Das Bundeslandwirtschaftsministerium unterstützt 18 Modelllandkreise, die zeigen, wie sie Ehrenamtsförderung beitreiben können, die nicht bevormundet, sondern zusammenführt.

Der Deutsche Landkreistag setzt das Projekt um, worüber ich mich freue. Ich würde das gerne auch in den Sparkassenbereich hineintragen, denn das müssen wir eigentlich zusammen machen. 

Welche Rolle haben Filialen für das Leben vor Ort?

Es gibt Sparkassen, die in ihren Schalterhallen auch Räume für Vereine, Steuerberater und andere Formen der Nahversorgung haben. Ich glaube, das brauchen wir. Große Immobilien sind nicht wertlos. Sie können Mieterträge erzielen und vor allem auch Beziehungserträge. Sparkassen sollten Menschen nicht nur über ihre Geldautomaten vernetzen, sondern auch durch Begegnungen. 

 

„Sparkassen sollten Menschen nicht nur über ihre Geldautomaten vernetzen, sondern auch durch Begegnungen.“

 

Und wie wird dann die Beratung in der Filiale aussehen?

Die Fachberatung muss in einer Kreissparkasse nicht auf 20 Standorte verteilt sein. Man kann sie deshalb durchaus stärker konzentrieren. Wer unternehmerisch tätig ist, fährt vielleicht auch gerne fünf Kilometer weiter und weiß dann, dass er sehr gut beraten wird. Die Kunden schauen allerdings anders darauf als wir Fachleute. Entscheidend ist deshalb: Wollen die Leute das – und sagt man es ihnen vorher? 

 

„Entscheidend ist: Wollen die Leute das – und sagt man es ihnen vorher?“

 

Aber es gibt doch diese Entwicklung: Erst ist der Bäcker weg, dann die Bushaltestelle, dann die Sparkassenfiliale.

Damit bin ich nicht einverstanden, das müssen wir umdrehen. Die Sparkasse darf nicht „weglaufen“. Man kann auch mit wenig Geld Strukturen sichern. Man kann doch sagen: „Ich habe da anderthalb Stellen, zwar zeitlich begrenzt, aber im Gebäude ist etwas los.“ Richtig ist: Man könnte mit wenigen, aber zielgerichteten öffentlichen Mitteln Strukturen fördern, dass die, die noch da sind, auch da bleiben. 

Wie weit darf der Weg zur Filiale werden?

Wichtig ist den Leuten, dass sie bei den Wegen, die sie im Alltag zurücklegen, an einer Sparkassenfiliale vorbeikommen. Das halte ich zumindest für eine gute Faustregel, die die Menschen gut verstehen würden. 
 

Das Gespräch führte Oliver Fischer.
Redaktionelle Mitarbeit: Anke Bunz

 


Zur Person:

Prof. Dr. Hans-Günter Henneke ist Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistags. Der 1957 im niedersächsischen Bassum (Landkreis Diepholz) geborene Jurist Henneke war nach dem Abitur in Syke und dem Studium der Rechtswissenschaften in Kiel zunächst als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Kiel tätig. 

Anfang 1989 trat er ein Wahlamt als Kreisrat (Ltd. Beamter auf Zeit) des niedersächsischen Landkreises Diepholz an. Im März 1993 begann er seine Tätigkeit beim Deutschen Landkreistag in Bonn. Ab 1995 war er hier auch für Finanzen zuständig, im gleichen Jahr wurde er Stellvertreter des Hauptgeschäftsführers. Fünf Jahre später wurde er zum Geschäftsführenden Präsidialmitglied des DLT berufen.

Henneke wirkt an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Osnabrück als Honorarprofessor und ist in staatlichen und öffentlichen Gremien tätig, etwa im zwölfköpfigen Sachverständigenrat für Ländliche Entwicklung, dessen Vorsitzender er ist, und im Unabhängigen Beirat des Stabilitätsrates. 

Zudem ist er Mitglied im Vorstand und Präsidium des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, dessen Vizepräsident er in den Jahren 2001 bis 2003 sowie 2009 bis 2012 war und seit 28. November 2018 wieder ist, und Mitglied im Verwaltungsrat der Dekabank, dessen Präsidialausschuss er von Mitte 2011 bis Ende 2013 angehörte und von Anfang 2019 bis Ende 2023 erneut angehört. 
Oliver Fischer, Anke Bunz
– 9. Juli 2020