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Immobilien
Wohnungsnot gibt es zurzeit nicht
Anders als das Wort „Wohnungsknappheit“ suggeriert „Wohnungsnot“ gleich eine hochdramatische Situation, von der zurzeit aber nicht die Rede sein kann. Eine begrifflich-situative Unterscheidung.

Mit Worten und Begrifflichkeiten wird Politik gemacht. Ein klärender Blick auf den Wohnungsmarkt erscheint angezeigt. Regional gibt es zwar durchaus Wohnungsknappheit, eine Wohnungsnot dagegen nicht.

Eine Wohnungsnot liegt vor, wenn physisch im großen Ausmaß Wohnungen fehlen. Beispielsweise nach Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte in den westlichen Besatzungszonen eine Wohnungsnot. 2,3 Millionen der im Jahr 1939 vorhandenen elf Millionen Wohnungen wurden im Weltkrieg durch Bombenangriffe zerstört. Nochmals genauso viele Wohnungen waren erheblich beschädigt und konnten teils nicht mehr genutzt werden.

In den ersten Jahren der Nachkriegszeit wurde die Wohnungsnot noch weiter verschärft. Zum einen, weil Millionen ehemalige Soldaten aus dem Krieg heimkehrten. Zum anderen, weil Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Ostgebieten in den Westen zogen.

 

Wohnungsnot in Hamburg 1946. Behelfsmäßige Behausungen, sogenannte Nissenhütten, stehen vor ausgebombten Häusern.

Viele Obdachlose kamen nur bei Freunden oder Verwandten unter und andere harrten in den Ruinen aus. Da aber schwer beschädigte Wohnhäuser häufig einstürzten, wurde das verboten.

Laut amtlichen Schätzungen gab es 1946 in den drei Westzonen rund 13,7 Millionen Haushalte und 8,2 Millionen Wohnungseinheiten gab. So fehlten kriegs- und migrationsbedingt etwa 5,5 Millionen Wohnungen. Diese Situation lässt sich als Wohnungsnot bezeichnen.

Wohnungsknappheit auf Vermietungsmärkten

Knappheit ist ein Begriff aus der Volkswirtschaftslehre und bezeichnet eine Situation, in der die Nachfrage größer als das Angebot ist. Wohnungsknappheit liegt dann vor, wenn die Nachfrage (Einwohner / Haushalte) höher als der Bestand an Wohnungen ist.

In einer dynamischen Betrachtung würde die Nachfrage schneller als die Fertigstellungen steigen. Volkswirtschaftliche Knappheitsindikatoren sind die Preise; für den Wohnungsmarkt sind dies die Mieten und Leerstände (Vermietungsmarkt) und die Kaufpreise (Investmentmarkt).

Bei einer Wohnungsknappheit gibt es lokal einen überdurchschnittlichen Anstieg der Mieten und die Leerstandsquote liegt unter einem Schwellenwert. Diese Indikatorwerte sind aber nicht eindeutig bestimmt.

Als Vergleichswert kann aber zum einen die Mietentwicklung in den 7 A-Städten und zum anderen die Leerstandsquote von gut zwei Prozent (Fluktuationsreserve) herangezogen werden.

In den auch Ballungsräume, Schwarmstädte oder Wachstumsregionen genannten größeren Städten stieg in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach Mietwohnungen stärker als das Angebot. Dies spiegelt sich in steigenden Mieten und sinkenden Leerständen wider.

 

In A-Städten stieg in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach Mietwohnungen stärker als das Angebot.

Nach den Daten der Deutschen Bundesbank hatte das Mietwachstum seinen Höhepunkt im Jahr 2017. In den darauf folgenden drei Jahren gingen die Mietsteigerungen in allen drei Marktabgrenzungen zurück.

Beim zweiten Indikator, dem Leerstand, betrug laut CBRE/empirica- Analyse der marktaktive Leerstand bei Geschosswohnungen 2020 in Deutschland ungefähr 2,8 Prozent und war in den letzten Jahren deutlich rückläufig. In Berlin war die Wohnungsknappheit ausgeprägter, es standen ungefähr 14.000 Wohnungen oder 0,8 Prozent des Bestands leer.

Der langfristige Anstieg der Mieten und der Rückgang der Leerstände in den Städten ist durch eine Reihe fundamentaler Trends erklärbar, wobei insgesamt die Nachfrage deutlich stärker als das Angebot gewachsen ist.

Seit Mitte der 2000er Jahre sind die Einkommen angestiegen. Bevölkerungswachstum und die Wanderungen führten ebenfalls zu einer höheren Nachfrage. Hinzu kommt eine Verkleinerung der Haushaltsgröße, die insgesamt die Anzahl der Haushalte hat wachsen lassen. Gleichzeitig wurden zu wenig Wohnungen fertiggestellt, das Angebot wuchs also nicht im erforderlichen Ausmaß.

Die Entwicklung der Mieten und der Leerstände zeigt, dass es eine Wohnungsknappheit gibt, jedoch ist die Klage über „explodierende Mieten“ oder „Wohnungsnot“ fehl am Platz. Die derzeitigen Mietsteigerungen und Leerstände sind kein Indiz für eine Wohnungsnot, wohl aber für eine Knappheit von Wohnungen.

 

Seit 2010 steigen die Preise wesentlich stärker als die Mieten. Das lag an der starken Nachfrage von privaten und insbesondere institutionellen Investoren.

Anlagenotstand auf den Wohninvestmentmärkten

Ein anderer Indikator für Knappheit sind die Kaufpreise für Wohnimmobilien, die sich auf den Wohnimmobilien-Investmentmärkten ergeben. Diese Märkte bilden die Käufe von Eigentumswohnungen und -häusern entweder zur Selbstnutzung und als Anlageobjekt ab.

In den Jahren von 2005 bis 2010 haben sich Preise und Mieten einigermaßen gleich entwickelt, seit 2010 sind die Preise wesentlich stärker als die Mieten angestiegen. Das lag an der starken Nachfrage von privaten und insbesondere institutionellen Investoren.

 

Wohneigentum nur Gutbetuchte, hier in Berlin. Seit 2010 steigen die Wohnungspreise wesentlich stärker als die Mieten. Das liegt an fundamentalen Faktoren wie Demografie und Einkommensanstieg, aber auch an der hohen Nachfrage und der Niedrigzinspolitik der EZB.


Die Ursachen sind zum einen wie bei der Mietentwicklung auf die fundamentalen Faktoren wie Demografie und Einkommensanstieg zurückzuführen.

Zum anderen ist insbesondere die EZB-Politik mit ihrer Niedrigzinspolitik und den Anleihekaufprogrammen dafür verantwortlich, dass die Preise deutlich stärker gestiegen sind als die Mieten.

Günter Vornholz ist Professor  für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum.

Professor Günter Vornholz (Foto oben: dpa)
– 3. Dezember 2021