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Sparkasse der Zukunft – Teil I
Blick zurück nach vorn
Sparkassen-Consulting-Führungskräfte stellen ihre Standpunkte, Ideen und Visionen zum Thema Sparkasse der Zukunft dar – Startartikel einer neuen Beitragsserie.

Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto. Beim Autofahren ist es wichtig, stets den Blick nach vorn zu haben. Allerdings ist auch der Blick in den Rückspiegel notwendig. Welcher Blick ist wichtiger?

Schauen wir zurück. Seit Jahren drehen sich alle Strategiediskussionen im Bankensektor um die gleichen Themen: Negativzinsen und Wegbrechen der Zinsspanne, zunehmender Wettbewerb durch PSD II und Mifid II, zunehmender Wettbewerbsdruck durch die GAFAs, Wettbewerb um die talentiertesten Fachkräfte und Digitalisierung. Ein Erkenntnisproblem gibt es diesbezüglich auch bei den Sparkassen nicht mehr – die Fakten liegen auf dem Tisch und manifestieren sich in jährlich sinkenden Ertragszahlen.

Blicken wir noch weiter zurück: Wann fand eigentlich die letzte fundamentale Veränderung von Geschäftsmodellen und Strukturen im Bankgewerbe statt? Es war im Jahr 1960, als das Girokonto für alle Bevölkerungsschichten eingeführt wurde. Mehr als 60 Jahre danach wird es wieder Zeit, neue Geschäftsmodelle und neue Strukturen einer neuen Arbeitsteiligkeit zu diskutieren. 

Hierzu braucht es Ideen und Entwürfe für die Zukunft, die als Standpunkte wirken. Sie dienen der notwendigen Reibung, der Erweiterung, Begrenzung oder Veränderung der Perspektive. Ohne diese ersten Standpunkte und Ideen gibt es nichts zu erweitern, zu begrenzen oder zu verändern. Entwürfe und Visionen sind also notwendig. 

Der vorliegende Beitrag ist als Auftakt einer Beitragsserie zu verstehen, in der wir – führende Mitarbeiter der Sparkassen Consulting – unsere Standpunkte, Ideen und Visionen zur „Sparkasse der Zukunft“ (SpadZ) skizzieren wollen. Unsere internen Überlegungen sollen keinesfalls eine Verbindlichkeit auslösen oder zentrale Konzepte infrage stellen. Unser Modell der SpadZ ist sicherlich genauso richtig, wie es zeitgleich falsch ist. Es wird niemals exakt so eintreten, wie in diesen Beiträgen beschrieben.

Aber eines ist sicher: Das Geschäftsmodell der Sparkasse wird nicht so bleiben, wie es heute ist. Und ebenso wenig wird es werden, wie es bis vor ein paar Jahren war. Denn der Kern des ursprünglichen Geschäftsmodells – über Losgrößen-, Fristen- und Risikotransformation eine rentable Zinsspanne zu erwirtschaften – wird ebenso wenig zurückkommen, wie sich das Verhalten der Menschen in eine analoge Welt zurückdrehen lässt.

Das einzig Beständige ist eben der Wandel. Kunden, Unternehmenslenker und Mitarbeiter werden ihre Verhaltensweisen und Gewohnheiten nachhaltig an die sich ständig verändernden Bedingungen anpassen; anpassen müssen. Also lassen Sie uns nachdenken: Wie könnte eine Sparkasse der Zukunft aussehen? Welche Parameter sind zu berücksichtigen? Und wie fügen sich die einzelnen Elemente zu einem großen und funktionsfähigen Ganzen zusammen? 

Es liegt uns fern, einfach nur ein Modell einer Sparkasse 2030 oder gar 2040 zu skizzieren. Schließlich wollen wir nicht mit unbekanntem technischem Equipment operieren, das man sich weder vorstellen kann noch das es weder heute noch später geben wird. Auch die Akzeptanz von technischen Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf das gesamte Finanzwesen ist naturgemäß unbekannt. Es wäre jedoch auch ein fundamentaler Fehler, wenn man die heutigen Rahmenbedingungen als unveränderlich begreift oder die Verhaltensweisen von Kunden in der Vergangenheit als zeitinvariant annimmt.

Diese Projektion des heutigen Zustands in die Zukunft ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie eine utopische Vision von „fliegenden Filialen“ oder Beratern, die sich zum Kunden beamen können. Alle heutigen Überlegungen müssen jedoch revolutionär genug sein, neue Geschäftsmodelle und Strukturen ohne Verbote zu denken.

Gleichzeitig müssen in allen Überlegungen die Menschen von heute mitgenommen werden. Ihre derzeitige „Welt“ ist die Ausgangslage. Diese anfängliche Lage ist natürlich nur der Anfang eines langen Weges, an dessen Ende sich etwas entwickelt haben wird, das wir heute noch nicht kennen können, an dem wir aber mitarbeiten sollten. Denn die Zukunft kann derjenige am besten vorhersagen, der sie gestaltet.

Was sind nun die Kernpunkte, die die SpadZ berühren? Wir haben fünf Kernthemen herausgearbeitet. Es handelt sich dabei um Fragestellungen

  • zu den Kontaktwegen und -punkten, die die Kunden sich wünschen;
  • zum neuen Modell der Beratung in Lebenssituationen;
  • zu Prozessen, die in der gesamten Wertschöpfungskette von Finanzdienstleistungen neu gedacht und entwickelt werden;
  • zur neuen Arbeitswelt und der Gestaltung von Arbeitsplätzen;
  • zu Personal und Führung;
  • zu Strukturen, die neue Kontaktwege, Arbeitsplätze und Prozesse sowie die Lebenssituationsberatung erst ermöglichen. 

Die Kontaktwege, zu denen Sparkassen und Kunden miteinander in die Kommunikation und in den Austausch über Produkte und Dienstleistungen treten, bestimmen schon jetzt und zukünftig im deutlich höheren Maße den Erfolg in Beratung und Service, mithin im Vertrieb. Wie sind diese Kanäle vernetzt? Wie können ausnahmslos alle Produkte und Dienstleistungen über den Kanal angeboten werden, den der Kunde wünscht und nicht über den Kanal, der aus traditionellen Gründen für die Sparkasse der einfachste war? Und dies ohne Medienbruch? 

Eng damit verknüpft ist die Frage, wie man in Zukunft genau die Kunden identifiziert, die zu einem bestimmten Zeitpunkt offen für ein konkretes Produkt oder eine Beratung sind. Das Thema der Beratung in Lebenssituationen beziehungsweise -momenten ist damit ein weiterer zentraler Punkt der SpadZ.

Die wenigsten Menschen werden in Zukunft noch einen jährlichen Termin bei ihrer Bank oder Sparkasse wollen, aber sie wollen – exakt zum richtigen Zeitpunkt – von ihrer Bank angesprochen werden – im Grenzfall vielleicht auch mehrfach im Jahr und in jedem Fall auf dem vom Kunden präferierten Kanal. 

Dabei muss es nicht immer der gleiche Kanal sein, vielmehr kann und wird dieser je nach Lebenssituation unterschiedlich sein. Das Modell der Lebensmomente hat umfangreiche Implikationen nicht nur für die Berater, die sich auf neue Anforderungen einstellen müssen. Auch auf die Vertriebssteuerung, auf die räumliche oder technische Begegnung von Kunde und Sparkasse und auf die Zuordnung eines Vertriebserfolgs hat dieses Konzept weitreichende Auswirkungen. 

Nicht zuletzt muss auch die Zuordnung von Kunden zu Beratern überdacht werden. Hat ein Kunde, der im Abstand von vielleicht fünf oder sechs Jahren jeweils einen Lebensmoment mit finanzwirtschaftlichem Beratungsbedarf „erlebt“, angesichts der ambitionierten Personalsteuerung oder regelmäßiger Segmentierung überhaupt noch die Chance, an zwei oder gar drei Lebensmomenten die gleiche Beraterin oder den gleichen Berater zu treffen?

Oder muss man hier völlig umdenken? Kann ein und derselbe Berater die Kunden in verschiedenen Lebensmomenten überhaupt immer richtig beraten? Erwarten die Kunden dies überhaupt noch angesichts der von ihnen selbst erlebten hohen Spezialisierung in anderen Bereichen des Lebens, beispielsweise bei der Arztwahl?

Ein weiteres Fokusthema ist die Prozesswelt. Prozesse im Vertrieb spielen dabei ebenso eine zentrale Rolle wie diejenigen in Produktion und Steuerung. Hier passiert in der Sparkassen-Finanzgruppe aktuell enorm viel – aber selbst wenn alles, was heute bereits bekannt und erdacht ist, umgesetzt wäre, würde es vermutlich nicht reichen, im zukünftigen Marktumfeld zu bestehen. Der Blick auf die Prozesse darf auch nicht auf die Prozesse einer Sparkasse beschränkt bleiben. Vielmehr muss die Prozesswelt in zukünftigen Strukturen gedacht werden.

Nicht nur die Frage „Wie wird etwas gemacht?“, sondern auch die Fragen „Wer macht es?“ und „Wo wird es gemacht?“ spielen eine Rolle. So ist beispielsweise davon auszugehen, dass schon in wenigen Jahren die überwiegende Anzahl an Kreditentscheidungen in modernen Kreditinstituten von Dienstleistern – und dort von Maschinen – getroffen werden.

Gerade hier wird deutlich, dass Prozesse integrativ mit dem Thema Sourcing diskutiert werden müssen. Das hat massive Auswirkungen auf Berufsbilder und Karrierepfade in einer Sparkasse – und damit kommen wir zum nächsten großen Themenfeld einer SpadZ: den Anforderungen an die Mitarbeiter und Führungskräfte.

Der Arbeitsplatz der Zukunft wird völlig anders aussehen als jemals zuvor. Schon vor Corona wussten wir, was technisch möglich wäre. Jetzt erleben wir täglich, was möglich ist und dass es in vielen Situationen tatsächlich funktioniert. Gerade in einer Branche, in der letztlich nur „Nullen und Einsen“ produziert werden, also Informationen, spielt in Zukunft die räumliche Organisation von Arbeitsplätzen fast keine Rolle mehr.

Warum soll die Entwicklung eines Anlagekonzeptes für einen Private-Banking-Kunden oder die Abwicklung eines internen Vorgangs nicht zukünftig im Homeoffice oder gar im Holidayoffice – beispielsweise am See – möglich sein – mit dem Laptop auf den Knien und mobilen Kommunikationsmöglichkeiten? Ist es nicht widersprüchlich, dass beispielsweise Firmenkundenberater, die ihre Kunden vor Ort betreuen sollen, ein festes Büro in der Sparkasse haben?

Wären in diesem Fall nicht ein Kfz und eine leistungsfähige IT-Ausstattung die bessere Lösung? Wie werden Prozesse „weitergegeben“ – und wie funktionieren zukünftig interne Rückfragen zwischen mehreren, an einem Prozess beteiligten Einheiten? In welchen Situationen ist ein physisches Treffen der Kolleginnen und Kollegen wichtig oder sogar unabdingbar – und wie müssen dann die Büro- und Kommunikationsräume einer Sparkasse aussehen? Wie müssen die Arbeitsräume ausgestattet sein, um diesen Anforderungen gerecht zu werden? 

Wenn „Remote Work“ nicht mehr der Ausnahmefall, sondern die Regel ist, welche Anforderungen stellen dann diese Arbeitsplätze und Formen der Zusammenarbeit an den Mitarbeiter, die Führungskräfte und den Führungsprozess? Wir werden zu einer völlig neuen Art der gesamten Führungskultur kommen müssen. Und auch hier haben viele Sparkassen in der Coronazeit dazugelernt: Abwesenheitsführung funktioniert.

In zukünftigen Arbeitswelten wird es keine tradierte „Anwesenheitsführung“ mehr geben. Damit wird sich auch die Frage stellen: Sind die Führungskräfte der Vergangenheit noch die Richtigen? Sind sie richtig sozialisiert und qualifiziert? Sind die Erfahrungen aus einer Arbeitswelt, die es in wenigen Jahren gar nicht mehr geben wird, relevant?

Fragen zur Arbeitsteiligkeit und Struktur der Zukunft sind die finalen Kernüberlegungen, die der SpadZ den notwendigen Rahmen geben. Hier geht es weniger um revolutionäre Ideen als vielmehr die ganz pragmatische Frage: Wie sollte eine Sparkasse organisiert sein und wer kann was am besten?

Schon heute hat die Organisation durch leistungsfähige Dienstleister und klare Empfehlungen zentraler Projekte zur Arbeitsteiligkeit wichtige Weichen gestellt. Dieser Weg muss weiter beschritten werden. Die Produktion wird in absehbarer Zeit weitgehend von Maschinen übernommen – damit werden Economies of Scale ab dem ersten Prozessdurchlauf wirksam.

Im Vertrieb sind allein schon durch den heutigen Betreuungsansatz, der häufig eine bestimmte Anzahl Kunden einem Berater zuordnet, Skaleneffekte von vornherein unmöglich – Chat-Bots hingegen sind ein Garant für Skaleneffekte. Völlig anders in Steuerungs- oder Stabsfunktionen oder bei aufsichtsrechtlichen Fragestellungen – hier sind Economies of Scale denkbar, auch wenn sie heute in der Praxis bei sehr großen Sparkassen häufig noch durch Komplexitätskosten überkompensiert werden. Damit wird deutlich, dass effizientere Strukturen in der gesamten Organisation notwendig sind.

Alle diese Aspekte sind unmittelbar oder zumindest mittelbar miteinander vernetzt und wirken aufeinander ein – und doch kann man sie auch separat diskutieren. In den kommenden Wochen und Monaten erwartet Sie daher eine Reihe weiterer Fokusbeiträge zum Thema „Sparkasse der Zukunft“. Diese sollen weder Modelle und Strukturen präjudizieren noch strategische Überlegungen einengen, sondern vielmehr zum Nachdenken und Diskutieren anregen und ein Bild zeichnen, an dem sich sowohl Management und Führungskräfte einer Sparkasse als auch ihre Mitarbeiter orientieren und reiben können.

Viele Ideen sind schon in zentralen Projekten vorgedacht, einige nur logisch konsequent weitergedacht worden. Dabei muss es nicht zwingend das Ziel sein, diese „Sparkasse der Zukunft“ eins zu eins so umzusetzen, aber wir dürfen uns den Blick in die Zukunft nicht durch den Blick in den Rückspiegel verbauen. Gleichzeitig sind das aber die Wurzeln einer der größten Bankengruppen der Erde und bewahrenswert. Dennoch ist es wie beim Autofahren: die Frontscheibe ist größer als der Rückspiegel, weil es darauf ankommt, nach vorn zu blicken.
 

Der Autor

Prof. Marcus Riekeberg ist Geschäftsführer der Sparkassen Consulting.

 

Marcus Riekeberg, Sparkassen Consulting (Bilder: Shutterstock)
– 4. August 2021