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Unternehmenskultur / Essay
Kultur lässt sich nicht kaufen
Viele Unternehmen versuchen sich derzeit neu zu erfinden. Das ist auch notwendig, erfordert aber mehr, als einen neuen Teppich zu verlegen oder den Kleidungsstil zu lockern.

„Guten Tag, ich hätte gern eine Tüte Unternehmenskultur, bitte.“

Tja, wenn es doch nur so einfach wäre, die Unternehmenskultur in seiner Sparkasse auszutauschen. Doch die Unternehmenskultur ist kein Kleidungsstück, was man aus dem Schrank nimmt und im Gegenzug ein Neues hineinhängt.

Um im Bild zu bleiben, muss man die gesamte Einrichtung neu gestalten – und alles muss stimmig sein! Denn wenn es mit der neuen Unternehmensstrategie klappen soll, muss die Kultur dazu passen.

Die Unternehmenskultur einer Sparkasse: Ein weicher und schillernder Begriff mit diversen Schattierungen und Farbtönen, nicht eindeutig definiert, inflationär verwendet, geprägt von Individuen, oft stabil über die Jahre und Jahrzehnte hinweg. Dennoch hat jedes Unternehmen eine Unternehmenskultur, seine Unternehmenskultur, weshalb man auch nicht von „guter“ oder „schlechter“ Kultur reden kann.

Was prägt eine Unternehmenskultur und wen prägt sie ihrerseits?

Sie wird geprägt vom Verhalten, den Handlungen und den Entscheidungen der Führungskräfte und der Mitarbeiter, und umgekehrt prägt die Unternehmenskultur die mit ihr verwobenen Arbeitskräfte. In größeren Unternehmen zeigen sich sogar Subkulturen in einzelnen Bereichen oder Abteilungen, quasi in speziellen Habitaten mit besonderen Rahmenbedingungen, geprägt von ausgefallenen Führungspersönlichkeiten oder speziellen Rahmenbedingungen.

Zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur sind die gemeinsam gelebten und akzeptierten Werte, Normen und Verhaltensweisen. Die Unternehmenskultur entwickelt sich über einen langen Zeitraum und wird von der Geschichte und den Erfahrungen des Unternehmens und seiner Organisationsmitglieder beeinflusst.

Sie bildet sich langsam und verändert sich nur sehr träge. Vereinfacht könnte man sagen, die Unternehmenskultur manifestiert die Aussage: „Das machen wir hier so, das haben wir schon immer so gemacht.“

 

Die Unternehmenskultur entwickelt sich über einen langen Zeitraum. Zu verändern, was „wir schon immer so gemacht haben“, ist nicht einfach – auch wenn das Konstrukt mittlerweile „wackelt“.


Bindungselement oder Verhinderungselement

Daher ist die Unternehmenskultur auch ein starkes Bindungselement innerhalb eines Unternehmens und fördert Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl und Identifikation. Oder die Kultur eines Unternehmens ist genau das Gegenteil, ein Verhinderungselement. Wenn Veränderungen zwingend erforderlich sind und Teile der Organisation diese Notwendigkeit der Veränderung spüren, aber sie nicht durchsetzen können, wird jede Veränderung scheitern.

Love it – change it – leave it: Wenn man es nicht „liebt, weil es nicht mehr passt, und man es nicht verändern kann, wird man als junge dynamische Führungspersönlichkeit gehen. In jedem großen Veränderungsprozess muss sich die Unternehmenskultur dem Wettbewerb mit anderen „Kulturen“ stellen und ist darum in jedem Veränderungsprozess von zentraler Bedeutung. Denn darüber sind sich alle einig: Die Unternehmenskultur und vor allem die Passung zwischen Kultur und Strategie hat maßgeblichen Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg.

Frischer Wind bleibt oft aus

Eine bewusste Gestaltung einer Kultur ist ebenso schwierig wie der Versuch, eine bestehende Kultur nachhaltig und deutlich zu verändern. Genau das ist es aber, was gerade in Sparkassen notwendig ist, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Die Herausforderungen von morgen und übermorgen lassen sich nicht mit der Kultur von heute und gestern lösen, denn es wird in der Zukunft auf neue innovative Verhaltensweisen ankommen, um im Wettbewerb zu bestehen. Die Etablierung einer innovationsfreundlichen und veränderungsoffenen Unternehmenskultur wird zum überlebensnotwendigen Erfolgsfaktor.

Die Unternehmenskulturen der Sparkassen sind von außen betrachtet relativ ähnlich, auch wenn sie im Detail oft erhebliche Unterschiede aufweisen: robuste Kulturen, die sich über Jahrzehnte geformt haben. Die starke regionale Verwurzelung der Mitarbeiterschaft und die niedrige Fluktuation tragen dazu bei, dass „frischer Wind“ ausbleibt.

Personalpolitik setzt selten auf Quereinsteiger

Zudem setzt die Personalpolitik in der Rekrutierung vorwiegend auf Mitarbeiter, die bereits den „Stallgeruch der Sparkassen“ mitbringen und selten auf Quereinsteiger, die geprägt durch andere Finanzdienstleister oder gar durch andere Branchen völlig fremde Sichtweisen und Ideen mitbringen würden.

 

„Die passen nicht zu uns“ – man lässt eine neue Kultur nicht zu, weil sie „nicht passt“ und übersieht, dass die neue Kultur ein zentrales Element der Lösung sein könnte.


„Die passen nicht zu uns“ – ist das so? Oder passen wir möglicherweise nicht zu „denen? Das ist übrigens dem Innovationsexperten Clayton M. Christensen zufolge, der an der Harvard Business School lehrte, auch eines der größten Probleme von Branchen, die von einer Disruption bedroht sind. Man lässt eine neue Kultur nicht zu, weil sie „nicht passt“ und übersieht, dass die neue Kultur ein zentrales Element der Lösung sein könnte.

Divers ist allenfalls der Teppichboden

Divers und innovativ ist in vielen Sparkassen daher allenfalls der Teppichboden in den Filialen. Es weht maximal ein laues Kultur-Lüftchen, das dann auch noch von den Altgedienten schnell im Keim erstickt wird. Schließlich gilt kulturell bedingt: „Das haben wir ja schon immer so gemacht.“ Doch wer immer das Gleiche bestellt, muss sich nicht wundern, wenn es auch immer gleich schmeckt und die Würze fehlt. Es stellt sich die Frage: Ist die „klassische Kultur“ einer Sparkasse zukunftsfähig?

Die Strategie allein wird es nicht richten

Warum ist diese Frage gerade in Zeiten einer nachhaltigen und fundamentalen strategischen Neuausrichtung so wichtig? Denn schließlich ist es doch die neue Strategie, die die Sparkasse sicher in die Zukunft führt, wie häufig argumentiert wird. Doch genau das ist ein Trugschluss! Denn nach wie vor gilt: „Culture eats strategy for breakfast.

Der legendäre Managementberater und Autor Peter Drucker wusste: Wenn die bestehende Unternehmenskultur andere, zumeist tradierte Verhaltensweisen mehr fördert als solche Verhaltensweisen, die für die neue Strategie erforderlich sind, dann wird die Strategie scheitern. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Otto Group. Der Versandhandelsriese war vor einigen Jahren genauso bedroht von Internet und Amazon wie Quelle, Neckermann & Co. Und dennoch hat Otto überlebt. Heute doziert Tobias Krüger von Otto: „Die einzige Alternative zum Kulturwandel war die Insolvenz.

 

Weil Unternehmenskultur kein starres System ist, kann sie verändert werden, allerdings nur langsam, denn jede Veränderung wird wiederum von der tradierten Kultur gebremst.


Weil Unternehmenskultur kein starres System ist, kann sie verändert werden, allerdings nur langsam, denn jede Veränderung wird wiederum von der tradierten Kultur gebremst. Also muss parallel zu einer neuen strategischen Ausrichtung auch die Unternehmenskultur verändert – gestaltet werden.

Aber die „passende“ Kultur kann man (im Gegensatz zur Strategie) nicht kaufen! Die Unternehmenskultur ist bei Veränderungsprozessen der kritische Engpassfaktor Nummer eins. Gleichwohl gilt aber auch: NUR eine neue Unternehmenskultur wird den Erfolg nicht bringen – und sie wird in der großen Frage nach dem „Warum eine neue Kultur“ erodieren, wenn nicht gleichzeitig neue strategische Ziele und neue Führungskonzepte umgesetzt werden.

Austausch von Führungsfiguren auf hohen Ebenen

Dies müsste in vielen Sparkassen auch mit dem Austausch von Führungsfiguren auf hohen Ebenen einhergehen – und hier endet dann häufig die Bereitschaft zum Kulturwandel. Das haben wir hier in der Sparkasse (…) immer schon so gemacht… Hier kann man eine gewisse Ähnlichkeit zum Fußball sehen: Fußball spielen können die Spieler in der Regel – aber ein neuer Trainer und eine veränderte Philosophie heben oft das Potenzial der Mannschaft besser und bringen sie wieder auf Erfolgskurs.

Kultur-Kannibalismus ist erklärtes Ziel

Damit die Unternehmenskultur einer Sparkasse erfolgreich verändert werden kann, sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Der wichtigste ist: Kannibalismus ist erwünscht! Eine neue Kultur frisst (hoffentlich) die alte – das heißt aber auch, dass die „alte Unternehmenskultur“ gehen wird, ja gehen muss, um für die neue Platz zu machen!

Gab es beispielsweise früher eine „Kontrollkultur“ und soll zukünftig eigenverantwortliches Handeln mit der Gefahr, Fehler zu machen, ein wesentlicher Bestandteil der Kultur sein, so muss die Kontrollkultur nicht verändert werden – sie muss weichen! Die Führungskräfte und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die „neue“ Kultur gestalten und umsetzen – und sie müssen verstehen, warum das eine oder andere in Zukunft anders laufen soll.

Jeder Kulturwandel bedeutet gleichzeitig auch ein Risiko für die Mannschaft: Was darf man ab jetzt, und was darf man nicht mehr? Man darf ab jetzt „Fehler“ machen, aber man darf nicht mehr die Verantwortung für diese Fehler ablehnen.

Bereitschaft für Innovationen und Risiken wecken

Die Bereitschaft für Innovationen und Risiken sowie die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Veränderung müssen geweckt werden. Da die Veränderungen insbesondere bei den Betroffenen Emotionen hervorrufen werden, ist eine wertschätzende und stabilisierende Kommunikation notwendig – und das auf allen Ebenen.

 

Da Veränderungen bei Betroffenen Emotionen hervorrufen werden, ist eine wertschätzende und stabilisierende Kommunikation notwendig – auf allen Ebenen.


Die Kultur muss also zur Strategie passen und je innovativer die Strategie, desto ausgefallener und innovativer muss die Kultur werden. Das wird gerade in der Digitalisierung einer Sparkasse sichtbar. Denn die Digitalisierung ist zum einen Technik und Werkzeug. Der Mitarbeiter muss sie beherrschen, das hat nichts mit „Kulturwandel“ oder „Spezialkenntnissen“ zu tun – es ist schlichtweg die Voraussetzung dafür, in einer Sparkasse arbeiten zu können.

OSPlus zu beherrschen, muss selbstverständlich sein

OSPlus zu beherrschen, muss so selbstverständlich sein, wie ein Elektriker einen Schalter anschließt. Der Berater muss wissen, wie er mit der Technik umgehen kann, wie er sie einsetzen muss, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Es reicht deshalb eben gerade nicht aus, den Mitarbeitern nur I-Pads zur Verfügung zu stellen.

Man muss den Kolleginnen und Kollegen auch sagen, wozu sie nutzbar sind und wie man sie in die neue Arbeitsweise einbindet. Das kann und wird vernünftigerweise auch heißen, dass für den einen Job ein I-Pad erforderlich ist, für den anderen aber nicht – und das hat nichts mit „Wertigkeit“ oder „Hierarchie“ zu tun!

Technik ist nur Mittel zum Zweck

Technik – egal wie komplex sie sein mag – ist nur Mittel zum Zweck. In vielen Sparkassen beobachtet man, dass um die Einführung von technischen Themen (RiMaGo, ICM, E-Akte, PPS-neo...) so viel Kommunikationsaufwand getrieben wird, als sei die Einführung von PPS-neo die Neuerschaffung der Sparkasse.

Letztlich wird hier nur ein technisches Unterstützungssystem eingeführt, welches die Strategie der Sparkasse nachhaltig unterstützt. Technisch-juristische Themen haben keinen Selbstzweck und dürfen auch nicht die Hauptrolle spielen, sondern sind stets ein wichtiges, aber dennoch untergeordnetes Thema in der Umsetzung der Gesamtstrategie.

Dann würde auch der Kulturwechsel gelingen: weg vom technischen Umsetzer hin zu einem Mitarbeiter, der neue Medien und Möglichkeiten innovativ und vor allem bedarfsorientiert einsetzt.

Neue Räume und offene Hemdenkragen garantieren nicht Erfolg

Mit den technischen Systemen sind wir auch schon bei den Artefakten angelangt. Ein neues Programm oder ein plattform-orientiertes Intranet sind ein Artefakt, ähnlich wie ein neues Mobiliar oder eine neue Architektur oder das zur Glaubensfrage erhobene Weglassen der Krawatte für männliche Kollegen in den Sparkassen.

Das Programm, die Raumgestaltung oder der offene Hemdenkragen können eine innovative Unternehmenskultur oder eine neue strategische Ausrichtung nur unterstützen – sie werden nicht zwangsläufig den Erfolg garantieren.

 

Das Programm, die Raumgestaltung oder der offene Hemdenkragen können eine innovative Unternehmenskultur oder eine neue strategische Ausrichtung unterstützen – sie garantieren nicht den Erfolg.


Diese Artefakte sind zwar nicht hinreichend für eine erfolgreiche Strategieumsetzung, aber sehr viel notwendiger als der eine oder andere Vorstand glaubt, denn diese Artefakte können kulturprägend wirken, wenn sie zur Zielkultur passen. So unterstützt eine neue Raumarchitektur neue Prozesse und Verhaltensweisen bezüglich Kooperation und Führungsstil.

Andersherum: Googlestyle-gestaltete Räume, die nicht zur Kultur einer Sparkasse passen, weil diese auf dem Stand der 1990er-Jahre stehen geblieben ist, sind kontraproduktiv. Allein die Idee des papierlosen Büros ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für die Arbeitswelt der Zukunft, wie uns Corona und hunderttausendfache Homeoffice-Lösungen über Nacht zeigten.

Kein neuer Wein aus alten Schläuchen

Es reicht auch nicht, die Unternehmenswerte und das Leitbild aufzuschreiben, es gilt, diese mit Leben zu erfüllen. Vorstand und Führungskräfte müssen die Werte des Unternehmens vorleben und prägen, denn wenn ein Kulturwechsel forciert werden soll, kommt es darauf an, dass die einzelnen Mitarbeiter in ihrer täglichen Praxis dies auch wahrnehmen und erleben.

Sie müssen merken, dass sich das Verhalten von Führungskräften auf allen Ebenen verändert. Sie müssen erleben, dass andere Fragen gestellt werden als früher. Sie müssen erleben, dass sich der Umgang mit Problemen und Fehlern ändert – und trotzdem wird es Jahre dauern, bis die Kultur sich verändert und ihrerseits neue Kolleginnen und Kollegen im Sinne der neuen Kultur prägt.

 

Der Autor Prof. Marcus Riekeberg ist Geschäftsführer der Sparkassen Consulting.


Schulungen sind nur ein erster Schritt

Auch eine „Schulung“ zur neuen Unternehmenskultur oder eine groß inszenierte Auftaktveranstaltung können sinnvoll sein, aber die Wirkung wird in wenigen Wochen verpuffen, wenn nicht Tag für Tag auch in kleinen Dingen Veränderung gelebt und erlebt wird. Es geht um das eigene Erleben einer neuen digitalen Zeit, die auf die Mitarbeiter verheißungsvoll, herausfordernd, aber auch fordernd wirken sollte.

Das alles wird nicht friktionsfrei passieren – und es wird in den meisten Fällen auch nicht ausbleiben, dass Führungsfiguren „ausgetauscht“ werden müssen. Analog erlebt man ja einen glaubwürdigen Kulturwandel in einer Sparkasse meist auch erst dann, wenn wesentliche, kulturprägende Elemente des Vorstands gehen und neue kommen.

Ohne so einen Wechsel ist ein Kulturwandel ehrlich gesagt nahezu unmöglich – der Kulturwandel ist aber die zwingende Voraussetzung dafür, in Zeiten fundamentaler Veränderung neue Überlebensstrategien einzuführen und umzusetzen, ohne dass die alte Unternehmenskultur die überlebensnotwendige Strategie zum Frühstück verspeist!

Prof. Marcus Riekeberg
– 10. April 2021