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Porträt
Der Digitalmacher
Mit Pranjal Kothari hat die Sparkasse Bremen als eine der ersten Sparkassen einen CDO berufen. Der gebürtige Inder über die Chancen der Digitalisierung, entfesselte Mitarbeiter und neue Services.

In Bremen ist Pranjal Kothari schon länger angekommen. Das „Moin“ zur Begrüßung kommt ihm so locker über die Lippen wie jedem waschechten Norddeutschen. Seit gut 20 Jahren lebt der gebürtige Inder in Deutschland, hat hier sein gesamtes Berufsleben verbracht.

Im Herbst 2020, mitten in der Coronapandemie, rückte der damalige Generalbevollmächtigte in den Vorstand der Sparkasse Bremen auf. Als eines der ersten Mitglieder der Sparkassen-Finanzgruppe berief das Institut Anfang September einen Chief Digital Officer (CDO). „Die Sparkasse von morgen muss ein Technologieunternehmen werden, in dem wir denken, arbeiten, handeln und entscheiden wie unsere neuen Wettbewerber“, sagt der 44-Jährige.

Position des IT-Vorstands ist abgeschafft

Die Konkurrenz, das seien neben Amazon, Apple, Facebook und Google vor allem die rund 900 Fintechs in Deutschland. „Diese greifen die Banken an allen Ecken und Enden an. Und selbst wenn 80 bis 90 Prozent von ihnen scheitern, reicht schon der Rest, um uns kundennahe Teile der Wertschöpfungskette wegzunehmen.“  

Die Digitalisierung sei für ihn viel mehr als eine Technologie. Sie helfe dabei, das Leben der Kundinnen und Kunden und des eigenen Teams einfacher zu machen. „Dann ist es eine gute Digitalisierung.“ Schlecht sei diese, wenn die Technologie das Leben verkompliziere. „Für mich ist Digitalisierung ein Mindset, eine Denkweise, mit der wir die Kunden besser verstehen und ihre Probleme lösen wollen.“

Sein Arbeitsbereich geht denn auch deutlich über die klassischen Zuständigkeiten eines IT-Vorstandes hinaus, weshalb die in der Finanzwelt als sehr experimentierfreudig geltende Sparkasse Bremen diese Position konsequenterweise abgeschafft hat.

„Schnell, digital und agil werden“ 

„Für den CDO haben wir keinen Kandidaten mit einer klassischen Bankkarriere gesucht, sondern vielmehr einen Experten für die Entwicklung digitaler Dienstleistungen, der auch Erfahrungen bei der Einführung agiler Methoden mitbringt“, sagt Vorstandschef Tim Nesemann, der nicht verhehlt, dass auch die Sparkasse die Bewerber und Bewerberinnen davon überzeugen musste, dass „sie schnell, digital und agil werden will“ und dies nicht nur ein Lippenbekenntnis sei.

In Kalkutta geboren, führte die Karriere Kothari früh nach Deutschland.

Punkten konnte das Institut immerhin damit, dass es zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung bereits die strategische Neuausrichtung eingeläutet hatte und dabei war, sich vom Konto- und Vermögensverwalter zum digitalen Finanzdienstleister zu wandeln. Dazu passt auch der Schritt zum agilen Unternehmen mit einer Netzwerkorganisation bei gleichzeitiger Abkehr von Hierarchien.

Im neuen Gebäude des Instituts verzichten denn auch die Vorstände wie alle Mitarbeitenden auf Einzel- oder Doppelbüros, sondern finden sich je nach Aufgaben im Co-Working-Space zusammen. Über die Hintergründe des Umzugs der Sparkasse Bremen aus der Altstadt in den Technologie-Park haben wir berichtet.

Kothari seinerseits, der sich gegen zahlreiche Mitbewerber durchsetzte, erfüllte die Anforderungen rundum. Direkt nach seinem BWL-Studium in Indien war der in Kalkutta Geborene im Jahr 2000 nach Deutschland gekommen. „Ich hatte die Wahl zwischen New York, London, Mumbai, Singapur und München“, erinnert er sich.

München als exotischstes Ziel

Für ihn sei München das exotischste gewesen, verbunden mit der Herausforderung, eine neue Sprache lernen zu müssen. Ein Abenteuer, auf das er sich gern einließ. „Außerdem hatte ich natürlich vom legendären deutschen Bier gehört.“

Während seiner Stationen bei Boston Consulting in München, der Deutschen Börse in Frankfurt, bei der UniCredit und später beim Immobiliendienstleister Planet-Home erneut in München, und schließlich als Mitgründer des Berliner Fintechs Deutsche Fintech Solutions sammelte Kothari Erfahrungen rund um Strategie- und Transformationsthemen und lernte nebenbei Deutschland kennen.

Warum es ihn aus der coolen Berliner Fintech-Welt mit ihren flachen Hierarchien zur Sparkasse Bremen zog, da muss der neue CDO nicht lange nachdenken. „Einerseits wollte ich die Freiheit, etwas bewegen zu können. Andererseits braucht ein Unternehmen auch die kritische Masse, um digitale Angebote und Dienstleistungen zum Wohle der Kunden umsetzen zu können.“

Vor Ort in Bremen stellte er dann allerdings auch fest, dass es eine größere Herausforderung ist, ein erfolgreiches Unternehmen umzugestalten – als ein Institut, das schlecht dasteht.

Umbruch mit geteiltem Echo

Die Reaktion auf das New-Work-Konzept beschreibt Kothari als geteilt. Die einen seien entfesselt und begeistert von der hierarchiefreien Arbeit, die anderen verspürten aber auch Angst vor dem Übergang in die neue Zeit. „Hier müssen wir ganz stark, etwa mit kontinuierlicher Weiterbildung, gegensteuern.“ Erste Erfolge können der CDO und seine Teams verbuchen.

Das neue Hauptgebäude der Sparkasse Bremen im Technologie-Park soll agiles Arbeiten ermöglichen und ist nah dran an der digitalen Welt von Start-ups und Forschungseinrichtungen.

Gerade hat die Bremer Sparkasse mit der Sparkasse Duisburg einen ersten Partner gefunden, der seinen Kunden den 2019 gestarteten Robo Advisor Smavesto anbieten will (wir berichteten). Die Zahl der Kunden liege aktuell im unteren vierstelligen Bereich und wachse pro Quartal mit 50 Prozent, so Kothari.

Mit der Frankfurter KMU-Finanzierungs-Plattform Creditshelf kooperieren die Bremer seit Ende April. An das Fintech reicht die Sparkasse Firmenkunden weiter, die zu wenig Sicherheiten bieten können oder ihre Sicherheiten anderweitig nutzen wollen. „Für uns hat die Kooperation den Vorteil, dass wir die Kunden im Haus behalten.“

Zu den neuen digitalen Produkten gehören zudem der Chatbot Anna, die Smartphone- und Tablet-App „Manni – Dein Finanzcoach“, die Konten, Kreditverträge und Verträge automatisch sortiert. Bei den digitalen Services arbeitet die Sparkasse Bremen mit der Finanz Informatik, dem DSV, dem Sparkassen-Finanzportal, anderen Sparkassen und Fintechs zusammen.

Rund 25 Kooperationspartner

Insgesamt seien es aktuell rund 25 Kooperationspartner. Luft für Neuerungen, so viel steht fest, gibt es noch genug, sodass Kothari sein Credo erfüllen kann: „Mache die digitale Welt jeden Tag ein kleines bisschen besser.“

Fast sein halbes Leben hat Kothari nun schon in Deutschland verbracht. Doch seiner Heimat fühlt sich der mit einer Inderin Verheiratete immer noch sehr verbunden.

Hoffen auf Reise in die Heimat

„Wegen Corona konnten wir seit Anfang 2020 nicht mehr nach Hause fahren, aber normalerweise sind wir einmal pro Jahr vor Ort, um die Familie zu besuchen“, sagt der Vater eines sechsjährigen Sohnes. Entsprechend ungeduldig blickt er auf die Inzidenzzahlen in Indien, die nach einer Erholung zuletzt wieder drastisch gestiegen waren.

Viel Zeit bleibt neben der neuen Aufgabe nicht. Kothari liest viel, neben E-Books auch noch ganz klassisch Texte auf Papier. Er hört Musik aller Richtungen und erkundet mit seiner Familie die neue Heimat an der Weser per Rad. „Ich liebe vor allem die bodenständigen Menschen und das familienfreundliche Umfeld.“

Eli Hamacher
– 28. Juni 2021