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Mitarbeitermotivation
Das neue Normal muss man sich erst erarbeiten
Die Coronapandemie hat die Präsenzpflicht in vielen Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe infrage gestellt. Doch das Führen sogenannter hybrider Teams ist gar nicht so einfach. Ein Interview mit Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter.

Frau Liebermeister, seit dem 1. Juli besteht die Homeoffice-Pflicht nicht mehr. Was hat sich dadurch für die Führungskräfte in den Unternehmen verändert?
Barbara Liebermeister: Unter anderem werden die Führungskräfte seitdem verstärkt mit den unterschiedlichen Erwartungen ihrer Mitarbeiter konfrontiert. Während manche nur noch im Homeoffice arbeiten möchten, wollen andere wieder Fulltime im Betrieb sein. Und während manche an zwei festen Wochentagen zu Hause arbeiten möchten, wollen andere dies situativ entscheiden.

Also sozusagen kommen, wann es ihnen passt.
Liebermeister: Ja. Und auf all diese Wünsche und Erwartungen aus Mitarbeiter- und Unternehmenssicht angemessen zu reagieren, ist im Führungsalltag nicht leicht – auch weil es in den meisten Betrieben noch keine Richtlinien für das Arbeiten im Homeoffice gibt. Also müssen dies die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern selbst aushandeln.

Kann nicht allgemein die Maxime gelten: Jeder Mitarbeiter soll selbst entscheiden, wo er wann arbeiten möchte – zumindest sofern er nicht in einem Bereich arbeitet, in dem eine Präsenz unabdingbar ist.
Liebermeister: Theoretisch ja, doch heute werden die meisten Kernleistungen von Unternehmen in oft bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht. Daraus ergeben sich auch Notwendigkeiten für die Zusammenarbeit, die nicht selten auch Präsenz erfordern. Also gilt es, die Präsenzzeiten zu koordinieren.

Eine Koordination wie im Krankenhaus

Was aufgrund der unterschiedlichen Wünsche schwierig werden kann.
Liebermeister: Ja, ich habe in den zurückliegenden Wochen von Führungskräften oft Klagen gehört wie: „Ich komme mir zuweilen wie der Pflegedienstleiter eines Krankenhauses vor, der geradezu darum betteln muss, dass seine Mitarbeiter kommen, damit der Betrieb läuft.“

Teams, die zum Teil im Büro und zum Teil von zu Hause aus arbeiten, funktionieren nicht von ganz allein. Das hybride Arbeiten braucht Gestaltungswillen und Richtlinien, sagt Barbara Liebermeister.

Deshalb plädieren Sie für Richtlinien in den Unternehmen, zum Beispiel in Form von Betriebsvereinbarungen, unter welchen Vorsetzungen und in welchem Umfang ein Arbeiten im Homeoffice möglich ist.
Liebermeister: Ja, Richtlinien, die einen Rahmen vorgeben, inwieweit zum Beispiel in der Einarbeitungszeit ein Arbeiten im Homeoffice möglich ist.

Warum gibt es diese oft noch nicht?
Liebermeister: Zum einen ist das Thema „hybrid arbeiten“ für die meisten Unternehmen noch recht neu. Zum anderen habe ich aber auch den Eindruck, die Führungsspitze speziell in Großunternehmen unterschätzt, wie viel Konfliktpotenzial das Arbeiten in hybriden Teams in sich birgt und welche Risiken damit verbunden sind.

Warum?
Liebermeister: Weil für meisten Top-Manager von Unternehmen mit mehreren Standorten eventuell gar in unterschiedlichen Ländern das Arbeiten in hybriden beziehungsweise virtuellen Teams geübte Praxis ist.

Inwiefern?
Liebermeister: Nun, ihre Treffen beziehungsweise Meetings mit ihren Kollegen im In- und Ausland fanden auch schon vor Corona weitgehend virtuell statt, und dabei sammelten sie die Erfahrung: Diese Form der Zusammenarbeit funktioniert. Also gehen sie unbewusst davon aus: Dies funktioniert auch problemlos auf den uns nachgeordneten Ebenen. Sie übersehen dabei, dass dort die Arbeitsinhalte und Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit ganz andere sind.

Steuerungsteams sind keine Arbeitsteams

Können Sie das erläutern?
Liebermeister: Wenn sich das Top-Team eines Unternehmens virtuell trifft und dabei ein Teilnehmer in München, ein anderer in London und ein weiterer in New York oder Shanghai sitzt, dann geht es in der Regel primär darum, sich im Kollegenkreis über die strategische Marschrichtung zu verständigen und gewisse Grundsatzentscheidungen zu treffen. Deren Umsetzung, die eine engere Zusammenarbeit im Alltag erfordert, findet aber auf den nachgeordneten Ebenen statt.

Das heißt, im Top-Team werden im eigentlichen Sinne keine Leistungen erbracht?
Liebermeister: Ich würde eher sagen: Das Top-Team hat primär eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion, es ist aber kaum in den eigentlichen Leistungserbringungsprozess involviert. Deshalb ist auf der Top-Ebene vieles möglich, was auf der operativen Ebene nicht möglich ist. Hinzu kommt, auf die Top-Ebene von Unternehmen gelangen nur Personen, die ihre Excellenz in der Vergangenheit schon oft bewiesen haben. Das heißt, sie verfügen über die nötige Fachkompetenz für ihre Position und die erforderliche persönliche Reife, sich selbst zu steuern und ihre Arbeit effektiv zu organisieren. Das ist auf den nachgeordneten Ebenen oft nicht der Fall.

Der Reifegrad der Mitarbeiter divergiert

Inwiefern?
Liebermeister: Auf der Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene hat eine Führungskraft stets auch Mitarbeiter, die noch eingearbeitet oder an das Wahrnehmen komplexer Aufgaben herangeführt werden müssen, also einer individuellen Förderung bedürfen. Diese ist, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten, oft schwierig. Zudem gibt es außer den Mitarbeitern, die sich selbst führen und organisieren können, auch solche, die das Eingebundensein in ein Team für ihre Motivation und Selbstorganisation brauchen.

Das heißt nicht, dass sie schlechtere Mitarbeiter sind, aber wenn sie im Homeoffice weitgehend alleine gelassen werden, können sie sich schnell zu solchen entwickeln. Erfahrene Führungskräfte wissen das. Deshalb haben sie ihre Mitarbeiter auch in der Vergangenheit schon abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich geführt. Wenn die Mitarbeiter aber einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, fällt ihnen dies schwer. Zudem erhöht sich das Konfliktpotenzial.

Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Liebermeister: Das fängt bei der Frage an, wem gestatte ich in welchem Umfang ein Arbeiten zu Hause. Sagen Sie mal einem Mitarbeiter, der weitgehend zu Hause arbeiten möchte: „Dein Kollege darf zwar drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten, aber du solltest maximal einen Tag dort arbeiten, weil du dich schlechter selbst führen und motivieren kannst.“ Da kommen Sie als Führungskraft schnell in Teufels Küche. Oder sagen Sie ihm: „Bei Ihnen würde ich es begrüßen, wenn Sie weitgehend im Büro arbeiten würden, weil Sie häufig Flüchtigkeitsfehler machen.“ Dann haben Sie als Führungskraft schnell einen Dauerkonflikt.

Es gibt noch keine Kultur des hybriden Arbeitens

Zumindest solange Sie sich als Führungskraft nicht auf betriebliche Regelungen berufen können.
Liebermeister: Ja. Hinzu kommt: Wenn ein großer Teil Ihrer Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeitet, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsverhalten überdenken und neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen, die sie nicht selten im Verlauf von Jahren zum Beispiel beim Delegieren von Aufgaben oder Feedback geben entwickelt haben, sozusagen über Bord werfen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit – auch, weil in den meisten Betrieben noch keine gewachsene Kultur des hybriden Arbeitens existiert.

Die einen sind dankbar über Homeoffice und leisten in der ruhigen Umgebung ihres Zuhauses mehr als im Büro mit seinen Ablenkungen. Die anderen fühlen sich abgehängt und vermissen den festen Tagesablauf. Das macht es schwierig, Regeln zu finden, die allen gerecht werden.

Das klingt so, als hätten Sie Vorbehalte gegen das Arbeiten in hybriden Teams?
Liebermeister: Nein, im Gegenteil. Wir arbeiten in meinem Institut seit dessen Gründung 2014 fast ausschließlich virtuell zusammen, und dies hat sich bewährt. Ich plädiere jedoch dafür, dass den Führungskräften in der Übergangsphase in das neue Normal die nötige Unterstützung seitens des Unternehmens gewährt wird. Zudem plädiere ich dafür, dass die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden Zusammenarbeit in ihrer Organisation zu etablieren, auch die möglichen Folgewirkungen bedenken.

Was meinen Sie damit?
Liebermeister: Zum Beispiel, wie wirkt sich das hybride Arbeiten auf die Identifikation mit dem Unternehmen aus? Ich höre von Führungskräften nicht selten, dass sie den Eindruck haben, dass der Teamspirit sinkt und die Wechselbereitschaft der Mitarbeiter steigt, seit ihre Mitarbeiter vermehrt im Homeoffice arbeiten.

Angenommen, ein Unternehmen stellt sich, weil seine Mitarbeiter zu 50 Prozent zu Hause arbeiten, die logische Folgefrage: Braucht noch jeder Mitarbeiter seinen eigenen Schreibtisch im Betrieb? Rein rational betrachtet lautet die Antwort gewiss: nein. Doch eng damit verbunden ist die Frage: Sinkt, wenn die Mitarbeiter im Unternehmen keinen eigenen Platz mehr haben, deren Lust ins Büro zu kommen und deren Identifikation mit dem Unternehmen noch weiter? Schließlich ist nicht jeder Mitarbeiter gern ein „digitaler Nomade“.

Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?
Liebermeister: Offen gesagt, wir haben auf sie als Institut noch keine Antwort – ebenso wie auf viele andere Fragen, die mit dem hybriden Arbeiten verbunden sind. Unter anderem, weil außer den Mitarbeitern auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen und somit auch ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen vermutlich auch die Lösungen individuelle sein.

Zur Person: Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter, Frankfurt

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Lukas Leist (Bild oben: Shutterstock)
– 31. August 2021