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Insolvenzen / aktualisiert
Die Ruhe vor dem Sturm
Ende April 2021 laufen die letzten Übergangsfristen für die Anmeldung von Insolvenzen aus. Sparkassenexperten aus Essen, Augsburg und München berichten, wie sie die Lage einschätzen.

Noch wirkt Andreas Götze ganz entspannt. Bislang seien die Insolvenzen trotz der Pandemie bei Unternehmern, aber auch bei Privatkunden deutlich zurückgegangen. „Kunden, die zum Beispiel eine Tilgungsaussetzung angefragt haben, bekamen diese bei uns auch schnell“, sagt der Bereichsleiter Kredit- und Forderungsmanagement bei der Sparkasse Essen. Wenn Soforthilfen oder KfW-Kredite nicht zügig flossen, finanzierte die Sparkasse bei Bedarf den Betrag vor.

Viele, gerade kleinere Betriebe, hätten sich aber auch gar nicht höher verschulden wollen und erst einmal finanzielle Unterstützung im Familienumfeld gesucht. Einem kleinen Teil der Betriebe sei es zudem gelungen, das Geschäftsmodell so zu modifizieren, dass Ertragseinbrüche vermieden werden konnten.

Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die stark von der Krise profitieren. „Wegen der gewachsenen Bedeutung der eigenen vier Wände haben viele Private zu Hause saniert, renoviert, verschönert. Das bringt Baumärkten, Gartencentern, Möbelhäusern stationär und online gute Geschäfte.“

 

Götze, Essen
Andreas Götze, Bereichsleiter Kredit- und Forderungsmanagement bei der Sparkasse Essen: „Kunden, die zum Beispiel eine Tilgungsaussetzung angefragt haben, bekamen diese bei uns auch schnell.“


Von Anfang an war die Sparkasse bestrebt, ihre Kunden eng durch die Krise zu begleiten. „Als einziges Institut in Essen haben wir nach Ausbruch der Pandemie fast alle unsere Kunden angesprochen, um zu hören, ob und wie wir sie unterstützen können. Das kam extrem gut an“, sagt Götze. 

Noch herrscht in Deutschland die Ruhe vor dem Sturm. Allzu lang ist die Liste prominenter Insolvenzen nicht: Klier, Deutschlands größte Friseurkette, Sawade, Berlins älteste Pralinenmanufaktur, Fernsehköchin und Restaurantbetreiberin Sarah Wiener, Galeria Karstadt Kaufhof oder der Modefilialist Esprit gehörten zu den wenigen, die für Schlagzeilen sorgten. Die von der Pandemie besonders betroffenen Tourismuskonzerne wie Tui und Lufthansa bekamen großzügige Hilfe vom Staat.

Wenn die aufgehaltene Pleitewelle ins Rollen kommt

Doch die Lage dürfte sich bald dramatisch zuspitzen. Voraussichtlich Ende April 2021 endet die temporär ausgesetzte Antragspflicht für Insolvenzanmeldungen. Experten befürchten, dass die durch diese Schonfrist ebenso wie Kurzarbeit und Finanzspritzen, wie nicht rückzahlbare Zuschüsse für Selbstständige und kleine Gewerbetreibende sowie zinsgünstige KfW-Kredite, aufgehaltene Pleitewelle danach ins Rollen kommt.

Den Banken stehe das Schlimmste in der Coronakrise noch bevor, warnte Anfang Dezember etwa Felix Hufeld, der Chef der Finanzaufsicht Bafin.

Weil die Beschränkung des öffentlichen Lebens die Existenz vieler Unternehmen bedrohe, rollten auf die Geldhäuser mehrere Wellen von Kreditausfällen zu.  

Von März bis Ende September 2020 konnten alle von der Pandemie bedrängte Unternehmen, die eigentlich hätten Insolvenz anmelden müssen, die Antragspflicht aussetzen. Für Unternehmen, die überschuldet sind, wurde diese Ausnahmeregel zuletzt bis Ende April 2021 verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt laut Bundeswirtschaftsministerium aber nur, wenn die Krise pandemiebedingt ist und mit einer Auszahlung von Corona-Hilfen zu rechnen ist. Bei Zahlungsunfähigkeit, was häufiger der Antragsgrund ist, gilt sie allerdings seit Ende September 2020 nicht mehr.

Die Geldhäuser hätten im Vergleich zur Finanzkrise 2008 zwar dickere Kapitalpuffer, und damit sei das Finanzsystem als Ganzes robust, betont Hufeld. Einige der schwächsten Banken würden die Krise aber vermutlich nicht überstehen und aus dem Markt ausscheiden.

Wie der zweite Lockdown die Wirtschaft trifft

Wie ernst die Lage ist und wie stark der zweite Lockdown die Wirtschaft trifft, zeigt beispielhaft eine Mitglieder-Umfrage der IHK Berlin von Ende November 2020. Wichtigste Ergebnisse:

  • 78 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, im laufenden Jahr einen Umsatzrückgang im zweistelligen Prozentbereich verzeichnen zu müssen.
     
  • Jeder vierte Händler etwa rechnet mit einem Umsatzminus von mehr als 50 Prozent.
     
  • Jedes vierte (von allen) Unternehmen sieht sich von Insolvenz bedroht.
     
  • Zwei von drei erhalten inzwischen staatliche Unterstützungen oder planen diese zu beantragen.
     
  • Mit der Dauer der Krise ist die Eigenkapitaldecke in der Hälfte der Unternehmen erheblich geschrumpft und vier von zehn Betrieben sehen sich mit Liquiditätsengpässen konfrontiert. Investitionsrückstellungen und Personalabbau sollen die Belastungen in den kommenden Monaten mindern. 

Wie Andreas Götze von der Sparkasse Essen stellen auch Ulrich Riegel, Bereichsleiter Kreditproduktion bei der Stadtsparkasse Augsburg, und Marcus Jaura, Abteilungsleiter Forderungsmanagement bei der Stadtsparkasse München, zum aktuellen Zeitpunkt (Stand November 2020) keine Häufung von Insolvenzen fest.

„Es ist zu beobachten, dass die Kunden, die Insolvenz anmelden mussten, bereits vor Corona deutliche wirtschaftliche Probleme hatten. Die Pandemie hat diesen Schritt nun beschleunigt“, sagt Riegel. Betroffen seien die allgemein bekannten Branchen wie Beherbergung, Gastronomie, stationärer Einzelhandel, Tourismus, Kunst- und Veranstaltungsbranche.

Grundsätzlich seien alle Unternehmensgrößen, aber auch Privatpersonen und Arbeitnehmer von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. „Die kleinen und mittleren Unternehmen haben aber oftmals stärker darunter zu leiden, da deren Kapital- und Liquiditätsreserven in der Regel schneller aufgebraucht sind.“

 

Jaura, SSKM
Marcus Jaura, Abteilungsleiter Forderungsmanagement bei der Stadtsparkasse München: „Derzeit reichen die Liquiditätsmaßnahmen aus.“


Marcus Jaura aus München stellt noch keine erhöhte Beanspruchung der Kreditlinien fest. „Vielmehr werden die Liquiditätshilfen der ersten Welle der staatlichen Hilfen genutzt – derzeit reichen die Liquiditätsmaßnahmen aus.“ Auch die Zahl notleidender Kredite sei nicht spürbar gestiegen.

Für das kommende Jahr sind die Sparkassen weniger optimistisch, zumal niemand weiß, wie sich die Infektionen weiterentwickeln und welche Beschränkungen noch für welche Dauer folgen werden.

Die Rückkehr zur Normalität wird noch dauern

Riegel aus Augsburg geht davon aus, dass es im nächsten Jahr eine Steigerung bei den Insolvenzen geben wird. „Manche Branchen waren im Jahr 2020 über einen längeren Zeitraum von teils massiven Umsatzeinbrüchen betroffen. Viele Unternehmen werden diese Einbrüche erst im kommenden Jahr, teilweise sogar noch später auffangen können. Die Rückkehr zur Normalität wird also noch einige Zeit dauern.“

Seien die eigenen Liquiditätsreserven sowie die Puffer aus den Corona-Hilfsprogrammen aufgebraucht, würden einige Kunden den notwendigen Cashflow dann noch nicht oder nicht mehr erwirtschaften können. Die drohende beziehungsweise tatsächliche Zahlungsunfähigkeit werde die Folge sein.

 

Riegel, Augsburg
Ulrich Riegel, Bereichsleiter Kreditproduktion bei der Stadtsparkasse Augsburg: „Es ist zu beobachten, dass die Kunden, die Insolvenz anmelden mussten, bereits vor Corona deutliche wirtschaftliche Probleme hatten. Die Pandemie hat diesen Schritt nun beschleunigt.“


Für den Sparkässler kommt es bei der Kreditvergabe vor allem auch auf tragfähige Konzepte für die Zukunft an. „Es wird Branchen geben, die sich künftig grundlegend verändert ausrichten müssen. Inwieweit beispielsweise Teile des stationären Einzelhandels oder die Hotelbranche wieder den Stand von vor Corona erreichen werden, bleibt abzuwarten“, sagt Riegel.

Das Argument einer Haftungsfreistellung und damit eines überschaubaren verbleibenden Risikos sei keine Triebfeder zur Kreditvergabe gewesen. Sein Haus habe bisher mehr als 50 Millionen Euro an Kreditmitteln im Zusammenhang mit Coronahilfen bewilligt. Hinzu komme eine Vielzahl an Tilgungsaussetzungen.

Niedrigzins belastender als Corona

Die Stadtsparkasse Augsburg wird nach eigenen Angaben zusätzliche Ausfälle durch Corona stemmen können. „Wir gehen im Bewertungsergebnis von einer spürbaren zusätzlichen Belastung durch Corona in den Jahren 2021 und 2022 aus. Stärker stehen die Erträge aber immer noch wegen der Niedrigzinspolitik unter Druck“, so Riegel. Und damit müsse sich die Sparkassenlandschaft auch über Corona hinaus auseinandersetzen.

Die Stadtsparkasse München schließt sich bei den Prognosen dem Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) an. Der hatte Mitte November in seinem Corona-Newsletter einen Anstieg der Insolvenzen – insbesondere bei kleineren Unternehmen aus den besonders betroffenen Sektoren wie Gastronomie und Touristik – für sehr plausibel erachtet.

Allerdings werde der Effekt durch die umfangreichen staatlichen Stützungsmaßnahmen wie das verlängerte Kurzarbeitergeld und die Überbrückungskredite abgemildert. Auch die solide Finanzpolitik vieler Unternehmen und das niedrige Zinsniveau hätten zu den bisher niedrigen Insolvenzzahlen beigetragen.

Dennoch: Die Bundesagentur für Arbeit hat für das kommende Jahr bereits 1,6 Milliarden Euro an Zahlungen für Insolvenzgeld eingeplant, für 2020 lag dieser Betrag laut Planung bei 950 Millionen Euro. 

Eli Hamacher
– 21. Januar 2021