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Sparkassenverband Bayern / Interview
„Es kommt auf jeden Einzelnen an“
Kundenorientierung und Gemeinwohl sind das A und O. Wie ein roter Faden ziehen sie sich seit jeher durch die Sparkassenphilosophie. Doch „nix bleibt fix“, auch nicht für Prof. Ulrich Reuter, den neuen Präsidenten des Sparkassenverbandes Bayern.

Herr Prof. Reuter, wir führen dieses Gespräch in einer ungewöhnlichen Zeit...

Prof. Ulrich Reuter: …das ist leider richtig. Mit dem neuen Lockdown wird es für alle härter, und wir haben in Bayern noch einmal Verschärfungen – wie etwa eine nächtliche Ausgangsperre. Insgesamt haben wir es mit einer großen volkswirtschaftlichen Herausforderung zu tun. Die nächsten sechs bis neun Monate werden schwierig bleiben.

Aber: Wir werden das bewältigen. Wenn es nicht die stärkste Volkswirtschaft Europas schafft, wer denn sonst? Wir müssen es auch ohne große dauerhafte Schäden hinkriegen. Nach meiner Einschätzung ist es uns bisher gut gelungen, auch wenn manche Branchen – ich denke da an den Tourismus und die Gastronomie – trotzdem sehr hart getroffen sind.

 

„Eine Kundenerwartung ist auch der Zugriff auf ein funktionierendes Geschäftsstellennetz. Daran wird sich nichts ändern.“

Professor Ulrich Reuter, seit Jahresbeginn Präsident des Sparkassenverbands Bayern.


Ist „Corona“ vielleicht aber auch das Signal zu einer Art Zeitenwende?
Der Strukturwandel, der ohnehin schon eingetreten ist, wird sich in verschiedenen Branchen noch beschleunigen. Der Druck zur weiteren Digitalisierung wird stärker. Und auch viele bisherige Alltagspraktiken stehen auf dem Prüfstand. Positiv finde ich, dass man heute viel eher bereit ist, sich über eine Videokonferenz auszutauschen, als das noch vor einem Jahr der Fall war.

Grundsätzlich gilt: Wir alle müssen umdenken – das gilt für die Unternehmen ebenso wie für die Menschen. Der Lockdown fordert uns alle.

Videokonferenzen werden aber nicht nur die Meeting-Kultur verändern, sondern möglicherweise auch ganze Branchen tangieren.

Die Unternehmen, in die ich Einblick haben darf, haben jedenfalls ihre Reisebudgets fürs kommende Jahr noch nicht wieder in frühere Höhe wachsen lassen. Da gab es den mit dem zweiten Quartal 2020 beginnenden deutlichen Rückgang, und 2021 wird man noch nicht das Volumen von 2019 erreicht haben – zum Teil scheint das auch ein dauerhafter Effekt zu sein.

Ob die „Videokonferenz“ allerdings zum Standard für alle wird, glaube ich nicht. Denn da bleiben natürlich viel direkter Kontakt, Mimik und das schnelle Argumentieren auf der Strecke.

 

„Der Druck zur weiteren Digitalisierung wird stärker“, sagt Professor Ulrich Reuter.


Ihr Vorgänger Ulrich Netzer sagte, er erwarte, dass sich in den kommenden Jahren die Rahmenbedingungen für die Sparkassen stetig verändern werden. Sehen Sie das auch so?

Wir haben es mit drei großen Trends zu tun, die unabhängig von Corona verändernd wirken – mit der Pandemie sind es sogar vier:

  • Erstens haben wir die Negativ- und Niedrigzinssituation schon seit Jahren zu bewältigen. Das hat sich durch „Corona“ noch weiter verschärft. Der Einlagenüberhang der Sparkassen wird so betriebswirtschaftlich zunehmend herausfordernd.

    Trotzdem kann ich sagen, dass es nach wie vor Sparkassen gibt, die sehr erfolgreich unterwegs sind. Mein Eindruck insgesamt ist, dass sich alle Sparkassen sehr intensiv überlegen, wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen. Und wenn ich eine Zwischenbilanz ziehen wollte – toi, toi, toi – gelingen ja überwiegend noch zufriedenstellende Ergebnisse.
     
  • Der zweite Trend ist die digitale Transformation: Es geht es nicht darum, Technik um ihrer selbst willen zu kreieren, sondern wir müssen uns hier auf die veränderten Erwartungen unserer Kunden einstellen, die digitale Angebote zunehmend als selbstverständlich nutzen. Wir sehen das an den Nutzerzahlen.
     
  • Der dritte Trend heißt Nachhaltigkeit. Wir haben alle miteinander als Gesellschaft die Aufgabe, vernünftiger, mit unserer Umwelt und dem Prinzip der Nachhaltigkeit umzugehen. Das gilt bei der Sparkasse sowohl für die Betriebsseite als auch für die Anlage- und Kreditseite. Das gehört zum gesellschaftlichen Auftrag, zur gesellschaftlichen Verantwortung der Sparkassen.

    Dieser Anspruch, der seit über hundert Jahren gewachsen ist, gehört mit zu unserem Markenkern. Er macht das aus, was „Sparkasse“ für viele Menschen ist. Es wäre ja erstaunlich, wenn wir dieses Ziel aus dem Auge verlieren würden.

Was heißt das alles für das Geschäftsstellennetz?

Wir wissen: Eine Kundenerwartung ist auch der Zugriff auf ein funktionierendes Geschäftsstellennetz. Daran wird sich nichts ändern. Die Filiale ist ein Kernelement der Sparkassen-Idee. Sie gehört zu den Sparkassen-Genen und darf nicht verlorengehen. Dennoch wird es auch hier zu Veränderungen kommen, was Präsenz, Größe etc. betrifft. Mit dieser Transformation werden wir umgehen.

„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“. Dieser Spruch Napoleons gilt für alle und alles. Was sollten die Sparkassen unternehmen, um an qualifizierte junge Leute zu kommen?

Eine Aufgabe der Sparkassen ist es, auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Dazu gehört es, bei aktuellen Entwicklungen nicht hinterher, sondern vorneweg zu gehen. Wir sind Trendsetter. Wir haben nach außen einen sehr modernen Auftritt – jedenfalls bestätigen mir das immer wieder junge Leute.

Unsere App hat eine hervorragende Funktionalität. Wir sind mit Apple Pay die ersten gewesen, und das fördert natürlich ein insgesamt positives, junges Image. Das ist natürlich wichtig für junge, qualifizierte Nachwuchskräfte, die wir in allen Bereichen der Sparkassen-Finanzgruppe brauchen – ob in der App-Entwicklung, in der Kundenansprache, in der Immobilienwirtschaft oder anderswo.

Es gibt kaum einen Bereich, in dem wir nicht auch in Zukunft Bedarf hätten, und den können wir nur decken, wenn wir attraktiv bleiben. Wenn wir uns nicht so viel mit uns selbst beschäftigen, sondern wenn wir nach draußen gehen, die Erwartungen der Kunden erfüllen. Über die positive Kundenerfahrung schaffen wir Loyalität bei den Kunden, die dann dazu führt, dass man sich auch vorstellen kann, in der Sparkasse mitzuarbeiten, weil dort attraktive Aufgaben warten.

Das Geschäftsfeld „Vermögensverwaltung“ stand bislang oft ein wenig im Schatten der anderen Sparten.

Wir hatten schon immer vermögende Privatkunden. Das ist für die Sparkassen nichts Neues. So, wie es im ländlichen Bereich Unternehmen gibt, die als Hidden Champions gelistet werden, also auch auf der internationalen Bühne unterwegs sind, gibt es auch bei der Sparkassen-Kundschaft den gehobenen, wohlhabenden, gut situierten Mittelstand. Und der ist praktisch die Klientel für Vermögensverwaltung.

Ich glaube, dass unsere Kunden auch von den Sparkassen zunehmend erwarten, dass sie hier intensiver beraten und betreut werden als bisher.

Warum?

Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun: Immer mehr Menschen, die gerade am Ende ihrer aktiven Berufszeit angelangt sind, besitzen ein Vermögen, mit dem sie sich nicht täglich beschäftigen möchten. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten unsere Kunden. Dafür stehen die Sparkassen mit all ihren Angeboten der Sparkassen-Finanzgruppe zur Verfügung.

Was ich jetzt sage, ist nicht neu für uns, die Sparkassen haben auf diesem Gebiet schon immer gute Arbeit geleistet. Die Begrifflichkeit der „Vermögensverwaltung“ ist für viele vielleicht neu, aber die Arbeit nicht. Die Begleitung des Kunden durch all seine Lebensphasen hinweg ist unerlässlich und bleibt gleich, sie bleibt auch eines der Hauptanliegen der Sparkassen.

Welche Akzente möchten Sie gerne als Präsident des Sparkassenverbandes Bayern setzen?

Ich finde es ganz, ganz wichtig, dass die Sparkassen-Finanzgruppe und die bayerischen Sparkassen – in meinem Fall mit dem Sparkassenverband Bayern und allen Tochtergesellschaften – sich nach außen positiv darstellen.

Wir brauchen ein positives Image, sowohl durch unsere Angebote als auch durch die handelnden Personen. Das fängt bei den Kolleginnen und Kollegen an, die etwa auf dem Kundenparkplatz ein freundliches Wort für die Kunden haben. Es geht weiter über die Kolleginnen und Kollegen, die beim Erstkontakt in der Geschäftsstelle am Point of Sale arbeiten, bis zu denen, die beim Telefon-Banking, im Callcenter, oder schriftlich mit den Kunden in Verbindung stehen.

Es kommt auf jeden Einzelnen an. Und dann müssen wir Verbände auch noch unsere Hausaufgaben machen.

Was sind die Hausaufgaben der Verbände?

Die Kunden der Sparkassenverbände sind die Sparkassen und deren Mitarbeiter. Wir wollen ganz nahe am Bedarf dieser Kunden arbeiten. Hier ist schon sehr viel Positives geleistet worden – von allen Verbänden –, doch auch hier gilt, dass der Zusammenhalt weiter gefördert werden kann; in den Regionen wie auf Landesebene, und natürlich auch in den anderen Regionen bis hin zum Deutschen Sparkassen- und Giroverband.

Ist das der Fall, dann strahlt dieses Gemeinschaftliche auch auf die Sparkassenkunden aus. Denn sie unterscheiden nicht: Das rote S signalisiert – egal wo man sich gerade befindet –, dass man hier das gleiche positive Erlebnis wie bei der heimischen Sparkasse erfährt. Dafür müssen wir alle unseren Beitrag leisten.

Wenn wir zusammenhalten – und das sollte uns immer bewusst sein –, ist die Sparkasse-Finanzgruppe unschlagbar. Das gilt fürs Image, für unser Angebot wie auch für unsere Marktmacht. Dann gelingt auch die Verbindung zur Politik. Was wir tun, machen wir schließlich nicht aus Selbstzweck, sondern um der Gesellschaft zu dienen – gemeinwohlorientiert.

Was gehört für Sie heute dazu?

Im Moment stehen wir zum Beispiel in der Finanzwirtschaft alle unter Druck, was die Aufsicht beziehungsweise die Regularien angeht. Und das betrifft vor allem die europäischen Absender. In keinem anderen europäischen Land gibt es eine so starke Mittelstandsorientierung gerade auch in der Finanzwirtschaft wie in Deutschland – und dabei schließe ich die Kollegen von den Genossenschaftsbanken mit ein.

Mit anderen Worten: Die Regionalbanken sind das starke Pendant zu unserem starken Mittelstand. Der Mittelstand stellt das Gros der Arbeitsplätze und der Ausbildungsplätze und ist auch gegenwärtig der „Fels in der Brandung der Pandemie“.

Die vielen kleinen Handwerksbetriebe, die Gewerbetreibenden, die Mittelständler – das sind die, die deutlich später und in viel geringerem Umfang krisenanfälliger sind als die Großen. Dieser Kreis braucht aber auch eine gesunde Finanzierung in der Region.

Diese stellen wir bereit. Ich glaube nicht, dass das, was die europäische Finanzpolitik propagiert, stimmt, wenn sie sagt „wir brauchen grenzüberschreitend europäische Champions“. Denn die finanzieren nicht das neue Gerüst für den Malermeister oder die neue Hobelbank im Schreinerbetrieb, auch nicht die Hallen-Erweiterung des metallverarbeitenden Betriebs. Darauf muss man die Politik immer wieder hinweisen, wenn sie es nicht von selbst merkt.

Reinold Rehberger
– 11. Februar 2021