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Erfolgstaktik mit Tiktok
Mit der Plattform Tiktok, die US-Präsident Donald Trump am liebsten verbieten möchte, feiern einzelne Sparkassen erste Erfolge. Über diesen Kanal können sie Zielgruppen unter 30 gut erreichen.

Solche Szenen hat wohl jeder Sparkassen-Azubi erlebt. Wenn er wartende Kunden nach ihren Wünschen fragt, wird er gebeten, einen älteren Kollegen zu holen. Die Angesprochenen trauen dem angehenden Bankkaufmann offenkundig nicht zu, ihr Anliegen kompetent zu bearbeiten. In einem 30-sekündigen Video auf Tiktok hat eine ehemalige Auszubildende mit dem Benutzernamen „MissMichelle07“ eine solche Situation satirisch überzeichnet.

Eine Kundin besteht darauf, dass eine Kollegin aus deren Arbeit herausgeholt wird, und drückt dieser eine papierne Überweisung zur weiteren Bearbeitung in die Hand.

Von einer „Standardsituation“ im Azubi-Alltag spricht „MissMichelle07“ sarkastisch. Viele User sehen das offenbar genauso. Rund 35.000 war das Filmchen bis Ende Juli ein „Like“ wert, 370 hinterließen einen Kommentar.

Zuwachs im Lockdown

Das Feedback zeigt, dass Tiktok längst auch in der Sparkassenwelt angekommen ist. Mit weltweit rund einer Milliarde Nutzern – darunter vermutlich 5,5 Millionen in Deutschland – spielt die im September 2016 gegründete Plattform längst auf Augenhöhe mit Facebook, Instagram, Youtube, Twitter und Snapchat.

Mit sogenannten Tiktoks – höchstens 60 Sekunden langen Videos – hebt sich der jüngste Social-Media-Gigant, der nach der Integration der Mitsing-App Musically im August 2018 auch in Europa populär wurde, vom Wettbewerb ab.

Die weitaus meisten Tiktok-Clips werden mit Musik unterlegt. Viele Nutzer wählen erst die Tonaufnahme aus und nehmen anschließend das Video auf. Vor allem Jugendliche zwischen 13 und 18 haben sich bislang für „Tiktoks“ begeistert. Mit der Coronakrise sind zahlreiche ältere User über 20 hinzugekommen. Während des Lockdowns im Frühjahr hatten sie offenbar Tiktok-Videos als interessanten Zeitvertreib entdeckt und die App in Rekordzahlen heruntergeladen. Allein in Europa konnte Tiktok rund 45 Millionen neue User gewinnen.

Datenschützer-Warnungen finden bislang wenig Widerhall

Warnungen von Datenschützern vor dieser App haben bis vor Kurzem wenig Widerhall gefunden. Weil die Daten der User auf Server in der Volksrepublik China gelagert werden, kursieren Befürchtungen, dass staatliche Stellen dieses diktatorisch regierten Landes Zugriff auf die Nutzerdaten nehmen. Mit dieser Begründung hat der amerikanische Präsident Donald Trump ein Verbot der Plattform in den USA angekündigt.

Jetzt verhandelt der chinesische Konzern Bytedance, der Tiktok betreibt, mit Microsoft über eine Übernahme der Video-Plattform in den USA.

Vorher hat Bytedance die florierende Nachfrage nach „Tiktoks“ für eine internationale Marketingoffensive genutzt. Mit dem Programm „Tiktok for Business“ will der Konzern bekannte Markenhersteller als Werbetreibende gewinnen. Das Spektrum der angebotenen Werbeformate reicht von bis zu 60 Sekunden langen Videos, die beim Start der App abgespielt werden, über kurze Bildanzeigen vor den Clips bis hin zu sogenannten Branded Hashtag Challenges, die mehrere Tage lang mit gesponserten und an besonderer Stelle platzierten Schlagworten arbeiten.

Make your Day: Vor allem Jugendliche zwischen 13 und 18 haben sich bislang für „Tiktoks“ begeistert.

Social-Media-Erfahrung ist hilfreich

 Als Werbekunden wären auch Sparkassen hochwillkommen. „Diejenigen Marken, die nach unserer Beobachtung am erfolgreichsten sind, sind auch diejenigen, die Kreativität und Authentizität der Tiktok-Community offen begrüßen und aufgreifen“, lockt eine Tiktok-Sprecherin.

Gerne positioniert sich die Plattform als erste Adresse für lebendige Communitys, die sich für virales Marketing in unterschiedlichen Varianten sehr aufgeschlossen zeigen. Das setzt originär produzierten Content voraus, wie Ansis Schön bestätigt. „Tiktok funktioniert in der Tat etwas anders als Facebook, Youtube und Instagram“, sagt der Abteilungsleiter Consulting des Sparkassen-Finanzportals.

„Wichtig ist deshalb eine klare Strategie, welche das vorhandene Kanalökosystem in Social Media sinnvoll ergänzt.“ Vor allem für Sparkassen, die bereits auf Facebook & Co. präsent sind, kann sich laut Schön ein Engagement auf Tiktok auszahlen.

Videos mit Sparkasse-Hashtag erreichen 8,6 Millionen Aufrufe  

Rund 8,6 Millionen Aufrufe erreichen Videos mit dem Hashtag Sparkasse. Die weitaus meisten haben Mitarbeiter der Institute produziert, weitere wurden von ehemaligen Angestellten wie MissMichelle07 privat gepostet. Als Content-Lieferant sind einige Institute längst auf der Plattform längst präsent. Ein Beispiel ist die Kreissparkasse Heilbronn.

Das württembergische Institut checkt jeden neuen Social-Media-Kanal auf seine Eignung für die Kommunikation von Sparkasseninhalten und hat mit Facebook, Instagram und Twitter mehrjährige Erfahrung gesammelt.

Kreissparkasse Heilbronn postet 60 Videos

„Auf diesen Kanälen können wir jedoch jüngere Zielgruppen nicht erreichen“, blickt Linda Kirchberger-Fuchs, Social-Media-Mangerin der Kreissparkasse Heilbronn, zurück. „Mit Tiktok haben wir endlich einen Kanal, der sich an Verbraucher unter 30 wendet und mit Videokompetenz überzeugt.“

Rund 60 Videos hat die Sparkasse seit Anfang 2019 gepostet. Die weitaus meisten sind von Auszubildenden und dualen Studenten produziert worden. „Wir wollen verstärkt Schulabgänger für eine berufliche Zukunft in unserem Institut gewinnen“, sagt Kirchberger-Fuchs.

Mit dem vorhandenen beruflichen Nachwuchs führte sie ausführliche Gespräche über dessen langfristigen Ziele. Auch die Mediennutzung kam ausführlich zur Sprache. Viele Azubis informieren sich am liebsten mit Videos. „Wir wollten diesen Kanal einfach einmal ausprobieren“, blickt Kirchberger-Fuchs zurück. Weil die Kreissparkasse weiterhin auch für Youtube produzierte, hielt sich der Zusatzaufwand in Grenzen.

Spiel und Spaß stehen bei Tiktok im Vordergrund. Die Videoclips spiegeln dabei das Lebensgefühl vieler Jugendlicher wider.

Lebensgefühl abbilden

Die Tiktok-Produktionen sollen in erster Linie das Lebensgefühl der jugendlichen Zielgruppen widerspiegeln. „Vor allem emotionale Momente während der Ausbildung finden Resonanz“, zieht die Social-Media-Managerin eine vorläufige Bilanz.

Ein besonders häufig aufgerufener Clip der Kreissparkasse Heilbronn hat ein Geschicklichkeitsspiel zum Gegenstand, das die Azubis während einer Wochenendveranstaltung ihres Arbeitgebers lernten. Gemeinsam mussten sie eine Kugel über balancierende Bahnen ins Ziel bringen, was nur im engen Zusammenspiel gelingen konnte. Das knapp zehn Sekunden lange Video wurde mit dem Hit „Teamwork“ der amerikanischen Sängerin MacKenzie Ziegler unterlegt.

Wert von Teamarbeit spielerisch vermittelt

Rund 45.000 User gaben diesem Clip ein „Like“, auch aus dem Ausland kamen Clicks. „Das pädagogische Ziel, den Wert von Teamarbeit spielerisch zu vermitteln, haben wir in jeder Hinsicht erreicht“, sagt Kirchberger-Fuchs.

Für Ansis Schön sind solche Erfahrungen wegweisend. „Tiktok sollte zunächst als Ergänzung zu bestehenden Kanälen hinzugezogen werden“, urteilt der Online-Experte. „Vorher sollten die Auftritte auf Facebook & Co. nochmals professionalisiert werden. Da gibt es sicher noch Luft nach oben.“ Bei Ausbildungsstarts, Jobmessen, Sponsorings, Live-Events und anderen konkreten Anlässen könne ein Tiktok-Clip sinnvoll sein. Außerdem könne die Plattform befristete Kampagnen unterstützen.

Kein Medium für persönlichen Kundendialog

Schön äußert sich wohl auch deshalb zurückhaltend, weil die Datenschützer gegen Tiktok weiterhin Vorbehalte hegen. Vor allem die Daten von minderjährigen Nutzern gelten als unzureichend geschützt. Die App ist zwar ab 13 freigegeben, eine Altersprüfung, die diesen Namen verdient, findet jedoch laut Expertenmeinung nicht statt. Grundsätzlich bleibe unklar, inwieweit über technische Smartphone-Daten hinaus auch persönliche Daten erfasst werden.

Für persönliche Kundendialoge ist Tiktok deshalb ungeeignet und auch gar nicht konzipiert. Die Plattform selbst bemüht sich auch im Rahmen ihrer Marketing-Offensive „Tiktok for Business“ um Seriosität. „Für uns hat die Sicherheit der Nutzer, aber auch der Marken, die sich auf Tiktok bewegen, oberste Priorität“, versichert eine Sprecherin pauschal. „Für Marken bieten wir maßgeschneiderte Dienste an, um ihnen ein optimales Umfeld für ihre Werbeinhalte zu bieten.“

Marken werden umworben

Solche Services haben bislang unter anderem Aldi, BMW, Lidl und VW in Anspruch genommen. Und als Content-Lieferanten sind ARD und ZDF bereits seit 2019 an Bord. Wenn Sparkassen diesen Beispielen folgen, sollten sie laut Schön neue Kommunikationsangebote für jüngere Zielgruppen entwickeln. Der Experte weist in diesem Kontext auf die Zusammenarbeit mit Creatoren beziehungsweise Influencern hin. „Auf Tiktok gibt es sicherlich Personen, die in der Region besonders wirken“, sagt der Marktkenner.

Allerdings haben die oftmals ihren eigenen Kopf, wie das Beispiel „MissMichelle07“ zeigt. Die junge Frau lobt auf Social-Media-Kanälen ihre Ausbildung zur Bankkauffrau außerordentlich. Sie erwähnt aber ihren Ausbildungsbetrieb, eine oberbayerische Sparkasse, mit keinem Wort. Offenkundig will sie als eigenständige Persönlichkeit und nicht als Testimonial wahrgenommen werden.

Stefan Bottler
– 7. August 2020