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SGVSH / Interview
Plädoyer für den Markenkern
Digitale Nähe zum Kunden ist das eine, traditionelle Verbindung zum Kunden das andere. Warum er beide Ziele für gleich wichtig hält, erklärt Oliver Stolz, neuer Präsident des Sparkassen- und Giroverbands für Schleswig-Holstein (SGVSH).

Herr Stolz, Sie sind jetzt seit einem Monat im Amt. Was möchten Sie gerne realisieren?
Oliver Stolz: Unser Auftrag und unsere Mission ist es, dass wir eng und verantwortungsvoll in der Gemeinschaft agieren. Und wenn ich Gemeinschaft sage, dann sehe ich in diesem Wort vor allem die oftmals lange Verbindung mit unseren Kundinnen und Kunden.

Die Gemeinschaft, das sind aber ebenso unsere Träger und Eigentümer, die wir gleichermaßen im Blick behalten müssen. Diese Philosophie der Verbundenheit ist auch genau der Punkt, in dem wir uns von fast allen Mitbewerbern unterscheiden.

Das bedeutet letzten Endes auch, dass unsere Bemühungen deutlich über das Bankgeschäft hinausgehen, denn es geht immer auch um das soziale und kulturelle Engagement. Diese Verantwortung ist Teil unseres Markenkerns.

Und den Markenkern wollen Sie bekräftigen…
…genau. Denn daran wird sich auch künftig – Pandemie hin oder her – nichts ändern. Es ist ja auch als Sparkassen-Prinzip festgelegt: Die individuelle Begleitung der Kundinnen und Kunden durch deren gesamtes Leben.

 

„Nur gemeinsam sind wir stark; doch wir müssen dazu auch schneller werden.“

 

Das gilt übrigens auch intern für die komplette Sparkassen-Finanzgruppe. Denn nur gemeinsam sind wir stark; doch wir müssen dazu auch schneller werden. Dafür gibt es viele gute Ansätze in der Finanzgruppe. Deshalb haben wir uns zu einem ganz frühen Zeitpunkt dazu entschieden, den Verband von einem Vollverband zu einer kooperierenden Institution zu machen.

Ich sehe es als eine meiner Aufgaben an, dieses Kooperationsmodell und damit auch den eingeschlagenen Weg der effizienten Arbeitsteilung zwischen den Verbänden weiterzuentwickeln. Schließlich haben wir ja auch etwas zu bieten.

Was beispielsweise?
Zum Beispiel das Präventionsmanagement. Das ist eine Abteilung innerhalb des SGVSH, die sich mit der Früherkennung von möglichen Fehlentwicklungen und Risiken beschäftigt.

Wir haben es gemeinsam mit unseren Sparkassen entwickelt und werden es weiter ausbauen. Vielleicht ist das dann auch für Sparkassen in anderen Regionen ein Modell.

Kundenverhalten und Zinsentwicklung sind neben der Pandemie die derzeit alles beherrschenden Sparkassen-Themen.
Natürlich erwarten unsere Kunden gerade in dieser Krise weiterhin exzellenten Service und Beratung. Gleichzeitig wünschen sie sich auch schnelle und unkomplizierte Lösungen.

Insgesamt haben wir es mit interessanten Entwicklungen zu tun: Der digitale Service nimmt immer weiter zu. Auch die Nutzung des bargeldlosen Bezahlens und der Internet-Filiale haben sich verändert.

Daher wissen wir, dass wir eine neue digitale Nähe für die Kunden entwickeln müssen. Um das zu erreichen, brauchen wir eine Multikanal-Strategie, an der die Finanzgruppe bereits intensiv arbeitet.

SGVSH-Präsident Oliver Stolz: Die Nutzung des bargeldlosen Bezahlens und der Internet-Filiale haben sich verändert. Sparkassen müssen eine eine neue digitale Nähe für die Kunden entwickeln.

Sehen Sie noch andere Trends?
Wir haben seit Jahren ein stabiles, momentan sogar ein überproportionales Einlagenportfolio. Damit haben wir die Chance, die Wertpapierkultur mit Fondssparen und Aktien in Deutschland in eine andere, positive Richtung zu lenken. Und wer, wenn nicht wir, wäre dafür besonders geeignet?

 

„Wir sollten unsere langjährigen intensiven Kundenbeziehungen nutzen, um mit guten Argumenten den Weg in langfristige Wertpapieranlagen zu erleichtern.“

 

Das Einlagenwachstum belegt ja auch, dass uns die Menschen vertrauen. Wir sollten unsere langjährigen intensiven Kundenbeziehungen nutzen, um mit guten Argumenten den Weg in langfristige Wertpapieranlagen zu erleichtern.

Das wäre auch ein wichtiges Engagement für die Altersversorge, um das über Beiträge finanzierte Rentensystem sinnvoll zu ergänzen. Kurz: Die Sparkassen sind dafür gut aufgestellt. Sie sind nah am Kunden, verfügen über umfangreiches Wissen und können sehr gut beraten.

Also wird es bald nur noch den digitalen Berater geben?
Nein, das sicher nicht. An der persönlichen, individuellen Beratung wird sich nichts ändern. Sie ist nach wie vor wichtig.

Wenn wir aber immer stärker auf digitalen Kanälen unterwegs sind, dann heißt das, dass wir uns stetig technologisch weiterentwickeln müssen. Das betrifft natürlich auch die Entwicklung der Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn diese müssen das digital basierte Geschäft sicher beherrschen können.

Gleichzeitig werden wir weiterhin unsere regionale und persönliche Verbundenheit mit den Kundinnen und Kunden pflegen – das wird unser Handeln auch in Zukunft prägen.

Wie wirkt sich die Pandemie auf den Umgang mit Bargeld aus?
Wir lagen Ende 2020 mit den Kartenzahlungen erstmals vor dem Bargeld. Aktuell zahlen zwei Drittel der Sparkassen-Kunden kontaktlos mit Karte oder Smartphone. Das ist ein eindeutiges Signal.

Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Und dort liegt mit Sicherheit auch die Zukunft. Die jüngere Generation hält es für selbstverständlich, ihre Bezahlgeschäfte mit der Karte oder direkt mit dem Smartphone abzuwickeln. Genau das bieten wir auch an.

Tourismus und Energiewirtschaft sind wichtige Standbeine der schleswig-holsteinischen Wirtschaft. Wie schätzen Sie deren Perspektiven ein?
Rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Schleswig-Holstein kommen aus dem Tourismus. Das Sparkassen-Tourismus-Barometer zeigt, dass diese Branche sehr gut dasteht – abgesehen von den derzeitigen Verwerfungen.

Es gibt mehr als 4000 Beherbergungsbetriebe, in der Regel mittelständische Unternehmen, und ein sehr breites Angebot für den Tagestourismus. Das hat zur Konsequenz, dass wir einen Qualitätssprung feststellen können. Statt All-inclusive-Konzepten setzt ein Bewusstseinswandel ein: Ruhe, Nachhaltigkeit, Natur.

Vielleicht kann man auch sagen: Flugreisen und Bräunungsgrad sind kein Statussymbol mehr. Deshalb sind wir hier auf dem richtigen Weg. Die Verantwortlichen haben diesen Wandel rechtzeitig erkannt. Es wurde sehr viel in den Kommunen an Nord- und Ostsee investiert, aber auch die Städte im Binnenland sind deutlich attraktiver geworden und die Qualität der Angebote höher.

Die Aufenthaltsdauer der Touristen hat sich verlängert und die inhabergeführten Beherbergungsbetriebe, von denen viele Sparkassen-Kunden sind, sprechen vor allem den Individualtourismus an: sich den Wind um die Nase wehen lassen, entschleunigen, hochwertige gastronomische Angebote genießen und die Kultur –  ob Schleswig-Holstein Musik Festival oder Wacken Open Air und natürlich auch die zahlreichen Museen.

Bis jetzt lässt sich sagen, dass die schleswig-holsteinische Tourismuswirtschaft die Pandemie auch dank der vertretbaren Einschränkungen des Sommers 2020 ganz gut überstanden hat – und ich glaube an ein dauerhaftes, nachhaltiges Wachstum.

Und die Energiewirtschaft?
Die Energiewirtschaft wird nicht nur für Schleswig-Holstein immer stärker zu einem Schlüssel nachhaltigen Wirtschaftens. Beim Thema Windkraft liegen wir hier an den Küsten ja schon sehr weit vorn.

Eine Herausforderung bleibt aber die Verteilung des grün gewonnenen Stroms. Das betrifft den Transport zum Verbraucher, aber auch die Speicherung: Energiesicherheit, also die verlässliche Verfügbarkeit, wird für die Akzeptanz der Energiewende und damit den dauerhaften Erfolg regenerativer Energien von steigender Bedeutung sein.

Und hier kommt die Wasserstofftechnologie ins Spiel: Sie wird zu einem Standortfaktor für die schleswig-holsteinische Energiebranche werden. Wasserstoff kann zu einer gut speicherbaren Alternativenergie mit nahezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten werden – und letztlich auch die regionale Selbstverwertungsquote der erneuerbaren Energien und damit die Wertschöpfung steigern.

Daher ist das Thema grüne Energiewirtschaft auch für die Sparkassen von Bedeutung, wenn es darum geht, die innovativen Schritte der Branche zu unterstützen. Als Finanzpartner sind wir übrigens seit vielen Jahren auf einer der beiden führenden Messen der Branche, der HusumWIND, vertreten.

Wasserstoff-Produktionsanlage des größten deutschen Wasserstoffmobilitätsprojekts eFarm im schleswig-holsteinischen Bosbüll. Hier soll künftig mit Windkraft Wasserstoff für die Nutzung in Fahrzeugen und Betrieben hergestellt werden. Wasserstofftechnologie wird „zu einem Standortfaktor für die schleswig-holsteinische Energiebranche“, sagt SGVHS-Präsident Oliver Stolz.

Inwiefern können international tätige Firmenkunden der Sparkassen von der neu gegründeten S-International Schleswig-Holstein profitieren?

Das Auslandsgeschäft ist ein Zweig, der besonders für den Mittelstand immer wichtiger wird. Mit der S-International Schleswig-Holstein bündeln die Sparkassen ihr Angebot und bauen den Service für international tätige Firmenkunden aus.

 

„Mit der S-International Schleswig-Holstein bündeln die Sparkassen ihr Angebot und bauen den Service für international tätige Firmenkunden aus.“

 

Das breite Leistungsspektrum richtet sich an kleine Einzelhändler, an die Immobilienwirtschaft und an große Mittelständler gleichermaßen. Wir stärken auf diese Weise sowohl die regionalen Betriebe als auch internationale Wirtschaftskooperationen mit Schleswig-Holstein. Zum Start im Herbst 2021 können davon bereits 50.000 Firmenkunden der Sparkassen profitieren.

Für die Sparkassen bedeutet das Projekt auch eine Stärkung ihrer Rolle als Hausbank, wobei die S-International Schleswig-Holstein für ein Transaktionsvolumen im Außenzahlungsverkehr von etwa 2,3 Milliarden Euro, ein Geschäftsvolumen im Devisenhandel von etwa 365 Millionen Euro und 168 Millionen Euro bei Zinssicherungsgeschäften für Finanzierungsprojekte steht.

Das Projekt haben die Sparkassen zusammen mit dem SGVSH eng an den Vorgaben des DSGV-Projekts NePoSiA orientiert und damit die sechste S-International in Deutschland auf den Weg gebracht.

Schon jetzt gibt es viele Prognosen, wie die Gesellschaft nach den pandemischen Bedrohung aussehen könnte. Wie könnte und sollte sie Ihrer Meinung nach aussehen?

Die Pandemie-Erfahrung ist tiefgreifend für jeden Einzelnen, sie kann jedoch im positiven Sinn einen Wendepunkt für die Gesellschaft bedeuten. Auch wenn dies noch während des Lockdowns komisch klingt: Wir sind handlungsfähiger geworden, ideenreicher, aber auch nachhaltiger und natürlich digitaler.

Außerdem glaube ich, dass der familiäre Zusammenhalt wichtiger denn je ist und die Ich-Mentalität eindämmt. Die wachsende Anerkennung des mobilen Arbeitens lässt zu, Arbeit, Familie und Freizeit besser in Einklang zu bringen. Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, das neue Bewusstsein für Solidarität und Miteinander beizubehalten.

Hier sehe ich übrigens auch uns als Sparkassen-Finanzgruppe in der Verantwortung: Wir müssen glaubhaft vermitteln, dass Sparkassen verlässlich, sicher und vertrauensvoll an der Seite der Kunden und ihrer Mitarbeiter stehen.

Politisch sehe ich die demokratischen Kräfte deutlich gestärkt. Die hohen Zustimmungswerte zeigen das bisherige Vertrauen der Menschen in die Parlamente und Regierungen.

Unsere soziale Marktwirtschaft und die aktuellen Unterstützungsmaßnahmen werden hoffentlich dazu führen, dass eine gesellschaftliche Spaltung weitgehend vermieden wird. Dies sollte uns auch in der Zeit nach der Pandemie tragen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass sich die EU als Staatengemeinschaft trotz aller berechtigten Kritik als Stabilisator bewähren kann.

Was wir dringend aufnehmen müssen, ist ein europäisches Streben nach den besten Zukunftstechnologien. Hier liegen wir derzeit zu weit hinter den Tech-Giganten aus den USA und China, die immer dominanter das weltwirtschaftliche Geschehen bestimmen können. Und das fängt ja bei uns ganz real mit der Digitalisierung vor der eigenen Haustür an.

Ich bin aber optimistisch, dass wir die infrastrukturellen Voraussetzungen schaffen können – ein in der Breite vorhandenes Reservoir an wissenschaftlichen Bildungseinrichtungen und kluge Köpfe haben wir ja.

Zur Person

Oliver Stolz (54) hat von 1985 bis 1988 Verwaltungswissenschaften an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung Schleswig-Holstein studiert.

Bevor Stolz Anfang 2021 das Amt des SGVSH-Präsidenten übernahm, war er zehn Jahre als Landrat des Kreises Pinneberg tätig. Bei der Kreisverwaltung hatte Stolz nach dem Abitur bereits eine berufspraktische Ausbildung absolviert.

Von 2007 bis 2010 war Stolz als Bürgermeister der Gemeinde Rellingen tätig, von 2000 bis 2006 als Leiter des Bauamts. Stolz ist verheiratet und hat drei Kinder.

Als Landrat des Kreises Pinneberg war Stolz der Sparkassen-Finanzgruppe bereits vielfältig verbunden, seit 2017 als Vorstandsmitglied des Sparkassen- und Giroverbands für Schleswig-Holstein.

Zudem war Stolz von 2013 bis 2018 als Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der Sparkasse Südholstein sowie der Zweckverbandsversammlung des Geldinstituts tätig.

Außerdem war er Kuratoriumsmitglied der Sparkasse und seit 2014 Aufsichtsratsmitglied der Provinzial Nord Brandkasse.

Oliver Stolz (54), Präsident des Sparkassenverbands Schleswig-Holstein. Der ehemalige Landrat des Kreises Pinneberg ist der Sparkassen-Finanzgruppe bereits vielfältig verbunden.
Reinold Rehberger
– 10. Februar 2021