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Junge Zielgruppe / 4 Fragen an... / waswillstdumehr
Um die Ecke denken
Avalkredit, Altersvorsorge, Vermögensschadenhaftpflichtversicherung: Die Produkte eines Versicherers sind selten sexy, haben dafür oft lange Namen. Junge Leute als Neukunden fürs eigene Unternehmen zu begeistern, ist da nicht einfach. Die Öffentliche Versicherung Braunschweig zeigt, wie’s geht.

In Coronazeiten sind die Clubs geschlossen? Die Öffentliche Versicherung Braunschweig stellt im Partyviertel eine Telefonzelle auf – als „Pop-up-Disco“ für eine Person. Büroräume sind in Braunschweig teuer? Die Öffentliche richtet einen Co-Working-Space ein, Büro-Hund inklusive. Nachwuchskräfte sind schwer zu finden? Der Pressesprecher stellt sich selbst auf die Bühne und macht beim „Recruiting Slam“ mit. Ob als Anbieter eines Nachttaxis oder Architekt einer temporären Zeltstadt mit Veranstaltungsraum: Immer wieder fällt die Öffentliche Versicherung Braunschweig mit ungewöhnlichen Aktionen auf. Fragen an Sebastian Heise aus der Kommunikationsabteilung.

Sebastian Heise setzt auf Kommunikation mit Nutzwert.

Warum so bunt und poppig?
Sebastian Heise: Jedes Unternehmen hat ein Interesse daran, die „nachrutschenden“ Kunden möglichst früh auf die eigene Marke aufmerksam zu machen. Besonders dann, wenn es langfristige Produkte wie Lebensversicherungen anbietet und als regionales Unternehmen auf die Kunden vor Ort angewiesen ist. Und, mal ehrlich: Eine Versicherung „greifbar und erlebbar“ zu machen, ist die Königsklasse des Marketings – es gibt wohl kaum ein anderes Produkt, das so wenig „vermittelbare Kaufbefriedigung“ schafft wie eine Versicherung.

Das macht das „Um-die-Ecke-denken“ entscheidend: Was würde die jungen Noch-nicht-Kunden bei uns vor der Haustür dazu bringen, sich für uns als Versicherung zu interessieren? Das könnte zum Beispiel ein nächtliches Großraumtaxi sein, unser „Night-Horse-Shuttle“, ganz in Blau und mit dem Logo der Öffentlichen, einem stilisierten Pferd. Oder eine witzige Aktion wie die Pop-up-Disco, die in Corona­zeiten eine Geste der Solidarität mit den Gastronomen ist (unser Bild ganz oben).

Recruiting Slam: Das Publikum vergibt Bestnoten für den Auftritt des Pressesprechers.

Entspringen die Ideen der Laune eines Referenten oder der Strategie des Vorstands?
Die grobe Ausrichtung unserer Aktivitäten leiten wir aus der übergreifenden Unternehmensstrategie ab: Wir möchten in der Region „wie ein guter Freund“ wahrgenommen werden. Dazu gehört die Überlegung: Was können wir unserer Region zur Verfügung stellen, was es hier bisher noch nicht gibt? Wir prüfen sehr genau, ob eine Aktion zu uns und dieser Strategie passt.

So manches entsteht dabei durch Vorschläge einzelner Kollegen. Schließlich geht gutes Marketing auch immer von der Frage aus: Wie möchte ich selbst gern angesprochen werden? Welche Veranstaltung würde ich selbst gern besuchen? Übrigens ist es für mich immer wieder alles andere als selbstverständlich, wenn eine Kollegin oder auch Führungskraft, die ihren Job seit vielen Jahren macht, zu der ungewöhnlichen Idee eines jungen Mitarbeiters sagt: Klar, lass uns das einfach mal ausprobieren.

Per „Pop-up-Village“ brachte die Öffentliche Raum für Begegnung und junge Themen in die Stadt.

Geht die Rechnung auf?
Natürlich kommt nicht jede Aktion so gut an, wie wir uns das im besten Falle ausmalen. Wichtig ist uns dann, mithilfe von Feed­back wieder ein Stückchen näher an die Leute heranzurücken. Gleiches gilt übrigens auch für die Entwicklung neuer digitaler Services und Produkte. Und manchmal reagiert auch eine ganz andere Zielgruppe begeistert auf eine Aktion als jene, die man ursprünglich im Visier hatte.

Unserer Erfahrung nach sind die Grenzen zwischen Alter, Mediennutzung und Interessen ohnehin durchlässig: Wir alle kennen die 79-jährige Großtante, die einen Skype-Call nach dem anderen macht, und den 19-jährigen Social-Media-Verweigerer aus Überzeugung. Freilich freuen wir uns darüber, wenn unsere Aktionen fleißig bei Tiktok und Instagram verlinkt und kommentiert werden und so „neutrale Dritte“ für uns Werbung treiben. Wir freuen uns aber auch über jeden, der unsere Angebote nutzt und das nicht tut.

Konferenzraum im öffentlichen Co-Working-Space.

Die Öffentliche Versicherung Braunschweig hält sich als Urheberin vieler Aktionen dezent im Hintergrund. So ist die Webseite des Co-Working-Space, der sich BLUEworking nennt, lediglich blau.
Als regionales Unternehmen überlegen wir immer, was wir den Menschen hier Gutes tun, wie wir ihnen wirklich helfen können. Auch in Braunschweig sind bezahlbare Büroräume, besonders für Selbstständige, immer schwerer zu finden. Unser Co-Working-Space kann da eine Lücke füllen: günstige Arbeitsplätze auch ohne langfristige Mietverpflichtungen, mit Möglichkeit zum Netzwerken in einer netten Community. Wir haben uns aber ganz bewusst dagegen entschieden, diesem Konzept die Marke unserer Versicherung „überzustülpen“.

Niemand soll, etwas überzeichnet, auf die Idee kommen, dass er nach zwei Tagen im Büro die ersten Versicherungsprodukte angeboten bekommt. Gleichzeitig ist es aber auch kein Geheimnis, dass wir beziehungsweise unsere Tochter, die Öffentliche Facility Management, hinter dem BLUEworking stecken. Zeitgenössisches Marketing muss aus unserer Sicht auch nicht immer „direkt mit der Tür ins Haus fallen“.

Auch eine ungewöhnliche Idee: das Fotoshooting zur Sponsoring-Verlängerung des Reitturniers Braunschweig Classico mit Vorstandschef Knud Maywald (rechts) und Pferd Mentor.

 

Silvia Besner
– 1. Dezember 2020