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Nachhaltigkeit - Interview
„Es soll mehr sein als nur Marketing“
Überraschendes Lob für die Finanzbranche von der Umweltexpertin Christine Jasch. Den entscheidenden Knackpunkt für die Trendwende erklärt sie im Streitgespräch mit Fondsmanager Alexander Mozer.

Sie sind beide ausgewiesene Nachhaltigkeitsexperten, doch längst nicht einer Meinung. Christine Jasch, Gründerin und Leiterin des Wiener Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, diskutiert mit Alexander Mozer, Chief Investment Officer bei Ökoworld, ob die Finanzbranche bei Nachhaltigkeitsfragen die richtige Richtung eingeschlagen hat.

Frau Jasch, wie weit ist man bei Nachhaltigkeitsberichten in Banken und Sparkassen?
Christine Jasch: Ich selbst prüfe solche Berichte in Österreich und der Schweiz. Dort gehörte die Finanzwirtschaft mit der Energiewirtschaft und der Chemischen Industrie zu den Vorreitern, die vor 20 bis 30 Jahren solche Berichte erstmals vorgelegt haben. Aber die Pflicht zu einer strukturierten Berichterstattung ist erst durch die CSR-Richtlinie der EU-Kommission ab dem Geschäftsjahr 2017 in Kraft getreten.

Christine Jasch: „Die Deutschen sind in Nachhaltigkeitsfragen viel besser, als sie oft meinen.“

Sind Österreich und die Schweiz da weiter gewesen als Deutschland?
Jasch: Meine Wahrnehmung aus vielen Jahren Arbeit in diesem Bereich ist, dass die Deutschen eher selbstkritisch und zweifelnd agieren und die Schweizer und Österreicher etwas stolzer sind auf das, was sie tun. Das kann ich zwar nicht wissenschaftlich belegen, aber die Deutschen sind in Nachhaltigkeitsfragen, die verbindliche ethische, soziale und ökologische Aspekte betreffen, viel besser, als sie oft meinen.

Nachhaltigkeitsberichte sind das eine, aber wie stark müssen die Kreditinstitute und Asset Manager sich noch stärker auf ethisches, ökologisches und soziales Wirtschaften ausrichten?
Jasch: Mit dem EU-Aktionsplan zu „Sustainable Finance“ kommt auf die Finanzdienstleister noch viel zu, etwa die verpflichtende Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit im Risikomanagement. Ähnliche Vorgaben gibt es in nationalen Aktionsplänen der Bundesregierung oder auch in Großbritannien. Wenn alle Bereiche der Lieferketten unter dem Risikoaspekt überprüft werden, etabliert man Umweltaspekte, wie den Klimaschutz und ethische und soziale Achtsamkeit in der Wirtschaft in den Prozessen der Unternehmen. Das betrifft jetzt eher größere Banken als kleine Sparkassen.

Zum einen haben wir Mindestkriterien, die an alle Institute angelegt werden, zum anderen gibt es Aktivisten, die maximale Nachhaltigkeit von allen Finanzakteuren fordern. Inwieweit sind denn strenge Nachhaltigkeitskriterien, wie bei Ökoworld, auf alle großen Fondsgesellschaften übertragbar, Herr Mozer?
Alexander Mozer: Das ist schwer zu leisten. Der EU-Aktionsplan wurde von Finanzvertretern maßgeblich mitbestimmt, die auch ihre eigenen Interessen wahren wollen. Eine äußerst konsequente Umsetzung von ethischen, ökologischen und sozialen Standards wird bei großen Anlagegesellschaften sicher nicht in gleicher Weise angestrebt, wie wir sie umsetzen. Ich sehe die Bemühungen der EU eher als einen Reaktionsplan. Also nicht Bemühung aus gewachsener Überzeugung, sondern Handeln als Pflicht. Es ist erschreckend, wie spät der Aktionsplan vorgestellt wurde. Das ist ein typisches Beispiel für den fehlenden Mut der Politik zu prophylaktischem Handeln. Es ist nicht erst seit gestern bekannt, dass die Lage unseres Planeten sehr ernst ist. Die Finanzwirtschaft kann einen großen Einfluss darauf haben, dass sich daran etwas ändert. Umso bedauerlicher ist es, dass auf politischer Ebene erst jetzt eine politische Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen aufgestellt wird.

Wie sieht das die Wissenschaftlerin?
Jasch: Es ist von Finanzinstitut zu Institut sehr unterschiedlich. Einige Großbanken, wie die UBS, haben enorme Fortschritte in den vergangenen zehn Jahren erreicht. Die Anlagekriterien, die dahinterliegenden Prozesse und das Personal wurden entsprechend auf Nachhaltigkeitsaspekte ausgerichtet. Das hat sicher auch etwas mit dem Reputationsschaden der Bank aus den Jahren zuvor zu tun, aber die Neuausrichtung ist grundsätzlich sehr positiv. Andere Großbanken gründen Tochtergesellschaften, die als Nischenanbieter Nachhaltigkeitsprodukte anbieten oder sie schließen in den Anlagekriterien einfach bestimmte Branchen aus. Das ist der einfachste Ansatzpunkt, aber nachhaltige Anlagen erfordern Researchkapazitäten und eine hochfundierte, wissenschaftliche Expertise im Bereich Sustainability, die viele Häuser nicht aufbauen wollen.

Mozer: Kurzer Widerspruch. Ich weiß, dass die UBS große Anstrengungen unternimmt. Dennoch könnten mein Team und ich nach unseren harten und konsequenten Kriterien der Ökoworld in einen Großteil der Anlagen ihrer Aktienfonds nicht investieren. Von UBS-Fonds gehaltene Unternehmen wie RWE, Airbus oder Rheinmetall sind beispielsweise Aktien, die nach unseren Kriterien schlicht und ergreifend nicht zugelassen oder tragbar sind.

Jasch: Das ist zum einen richtig, wenn es um die Konsequenz in den Anforderungen an die Unternehmen geht. Zum anderen geht es aber um einen Anlageprozess, der nachhaltige Kriterien insgesamt auf allen Ebenen der Investmententscheidungen verankert. Es gibt keine pauschalen Listen für Anlageentscheidungen, sondern eine Einzelfallüberprüfung. Diese fällt zugegebenermaßen in der Mehrheit der Unternehmen sehr lasch aus und haben nichts mit der Konsequenz und Transparenz bei Ökovision zu tun. Da geschieht das bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten.

Vor Jahren hatten viele Gesellschaften nur Labelfonds, die Nachhaltigkeit nur im Namen hatten. Heute haben viele Asset Manager wirkliche Nachhaltigkeitsfonds, aber eben nur als Teil einer breiten Fondspalette.
Mozer: Da nutzt man eine Gelegenheit, um Geschäfte mit einer bestimmten Klientel zu machen, ohne sich als Gesellschaft glaubwürdig in diese Richtung zu bewegen. Das ist oft nur eine Marketingmaßnahme, aber keine grundsätzliche Änderung der Geschäftsausrichtung.

Aber ist es nicht doch ein Fortschritt gegenüber früher?
Mozer: Wenn ich das als ersten Schritt und den Anfang zu einer konsequent nachhaltigeren Ausrichtung bewerten würde, kann man das oberflächlich betrachtet so sehen. Mit unserer Ökoworldbrille reicht dies aber ganz klar nicht aus. Es ist und bleibt - in der Regel – das Ausnutzen einer rein werblichen Verkaufsgelegenheit in einem Wachstumsmarkt. Es geht aber inzwischen um mehr. Es geht um ein ganzheitliches Umdenken, nicht um die richtige Marketingstrategie, wenn wir beispielsweise in Fragen des Klimawandels vorankommen wollen. Viele Anleger haben klar Verstanden, dass das reine Renditestreben vieler Investmentgesellschaften und Banken in unserer heutigen Zeit zu wenig ist.

Nachhaltigkeitskriterien sind international sehr unterschiedlich. Gibt es einen Grundkonsens?
Jasch: Das ist in der Tat schwierig. In Frankreich gilt den meisten Atomkraft als nachhaltig und in den USA werden Vorbehalten gegenüber der Waffenindustrie oft nicht verstanden. Es gibt sogar Staaten, die in der Kohleindustrie Nachhaltigkeit sehen. Banken im kirchlichen Bereich haben teils Abtreibung als ein Kriterium, was wiederum neue Ausschlusskriterien mit sich bringt. Die Kriterien sind so divers wie die Menschen, einen wirklichen Konsens gibt es nicht. In Österreich haben wir uns beim Umweltzeichen für Finanzprodukte auf Mindestkriterien geeinigt, die Atomkraft, Rüstung und schwere Menschenrechtsverletzungen ausschließen.

Was sind für Ökoworld die Ausschlusskriterien?
Mozer: Atomkraft oder Rüstung sind konsequent ausgeschlossen, auch bei kleinen, nicht-strategischen Umsatzanteilen. Es gilt die Nullprozenttoleranz. Bei einigen der größten Umweltkatastrophen der letzten Jahre wurde deutlich, wie falsch Abstriche hierbei sein können. BP war zu Zeiten des Umweltskandals durch ihre Ölplattform Deepwater Horizon 2010 in vielen Nachhaltigkeitsfonds als bestes Unternehmen ihrer Branche vertreten. Ähnliches gilt für Tepco, die als Betreiber des Atomkraftwerks von Fukushima in Nachhaltigkeitsfonds waren. Best-in-Class wird bei Ökoworld nicht praktiziert. Wir wenden seit jeher strikte Ausschlusskriterien an. Neben den oben genannten Themen, finden auch Unternehmen die Menschen diskriminieren, Produkte der Chlorchemie erzeugen, Raubbau an natürlichen Ressourcen betreiben oder Kinder- und Zwangsarbeit nutzen, aus.

Nachhaltiges Fast-Food? Mozer sieht dies zumindest bei der Kette Chipotle gegeben.

Gibt es denn Überraschungen im Anlageuniversum von Ökoworld, mit denen man nicht rechnet?
Mozer: Es gibt durchaus Bereiche, wo wir aus Sicht von Beobachtern überraschend investiert sind, etwa im Fast Food Bereich. Hier ist Chipotle Mexican Grill eine Restaurantkette, in die wir investieren. Das Unternehmen setzt beispielsweise auf lokale Produkte und achtet auf die Herkunft des Fleisches beziehungsweise der Tierhaltung. Regionalität und Bio sind wichtige Aspekte. Für unseren Fonds Ökovision Classic ist das Anlageuniversum, das der Anlageausschuss im getrennten Investmentprozess genehmigt hat, natürlich Gesetz. Aber wir tätigen keine öko-romantischen Investments, sondern setzen auf die Unternehmen, mit deren Aktien wir gute Renditen erwirtschaften. Ökonomie mit Ökologie ist die Devise. Das bedeutet, dass die Unternehmen, die zwar ethisch-ökologisch und sozial unbedenklich sind, auch nur dann im Sinne der Anleger investiert werden, wenn die ökonomische Seite passt. Ökologie ohne Ökonomie macht im Fondsmanagement keinen Sinn.
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Die Österreicherin Christine Jasch hat sich als Wirtschaftswissenschaftlerin, Umweltgutachterin und Buchautorin einen Namen gemacht. Sie ist Gründerin und Leiterin des Wiener Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung.
Alexander Mozer ist Chief Investment Officer bei Ökoworld und leitet das Portfolio- und Fondsmanagement in Luxemburg.

Thomas Rosenhain
– 24. Juli 2019