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Kryptowährung / Essay
Diesmal ist es anders
Bitcoins und das Scheitern beim Abendessen: Wie ein Vater seinem Sohn zu erklären versuchte, dass der Hype um die Digitalwährung wohl böse endet.

Viele Sparkässlerinnen und Sparkässler werden das kennen: Familie, Freunde, Bekannte kommen schon mal mit der Bitte um Rat in einer finanziellen Frage. Kein Problem, man hilft ja gerne, mit der gebotenen Vorsicht und mit Hinweis auf die Fachleute in der Sparkasse, die es noch besser wissen. Umso schlimmer, wenn das eigene Kind dann die väterlichen Einschätzungen in einer finanziellen Frage nicht akzeptiert. Zum Beispiel beim Thema Bitcoin. 

Angestachelt von einem überaus erfolgreich in Bitcoin spekulierenden Freund, einem IT-Nerd, hat mein Ältester seine gerade erlangte Volljährigkeit zum Erwerb von ein paar Bitcoin-Bruchteilen genutzt. War ganz einfach, sagt er, so über eine App. Zu meiner großen Verblüffung, denn für Fragen der Geldanlage hat er sich bisher nur sporadisch interessiert. 

„Wozu sind Bitcoins eigentlich gut?“

Den unvermeidlichen emotional-argumentativen Ausbruch beim Abendessen muss der Sohn über sich ergehen lassen. Papa bohrt: Wozu sind Bitcoins eigentlich gut? Bieten sie irgendeinen Nutzen, den eine „normale“ Währung nicht auch bieten würde? Was sollte den Preis von Bitcoins daran hindern, wieder auf Null zu fallen? Zum Beispiel, weil Bitcoins verboten werden? Weil sie strenger reguliert werden?

Weil die Zentralbanken bessere Digitalwährungen schaffen? Sind Bitcoins wegen ihres enormen Energiebedarfs beim Schürfen und beim Handeln nicht sowieso eine Umweltsauerei? Und, Seitenhieb: Es ist doch ein Treppenwitz, dass ausgerechnet der E-Auto-Industrielle Elon Musk, ansonsten auf der Nachhaltigkeitswelle reitendes Idol vieler Jugendlicher, den Bitcoin-Hype vor Kurzem in die nächste Runde getrieben hat. 

„Eben eine neue Währung“

Einwand des Sohnes: Das ist eben eine neue Währung, ähnlich wie Gold. Papa doziert, zunehmend genervt: Kennst Du überhaupt die drei Währungsfunktionen? Erstens Wertaufbewahrungsmittel: Dafür haben Bitcoins viel zu hohe Preisschwankungen! Zweitens Zahlungsmittel: Wo kann man denn mit Bitcoin zahlen, wo man nicht auch einfach mit Euro bezahlen könnte? Drittens Rechnungseinheit: Ach, vergiss es doch einfach! Niemand rechnet in Bitcoins. Und komm nicht mit Gold, das hat wenigstens ein paar praktische Verwendungen, braucht kein Passwort und außerdem kann man damit auch was anfangen, wenn der Akku leer ist. 

„Erst die Euphorie und dann der Crash“

Überhaupt: Weißt Du eigentlich, wie viele spekulative Blasen es in der Geschichte gegeben hat? 1636 die Tulpenmanie in Amsterdam, 1720 die Südsee-Blase in England, 1845 die Eisenbahnmanie (mit erstaunlichen Parallelen zur Dotcom-Blase 1999), die Immobilien- und Aktienblase im Japan der 1980er und so weiter und so fort.

Papa läuft zum Bücherschrank, kommt zurück mit Charles Kindlebergers „Manias, Panics, and Crashes“ und Edward Chancellors Buch zur Geschichte der Finanzspekulation. Da steht’s drin. Es ist regelmäßig das gleiche Muster: Es beginnt mit einer Innovation, erste Anleger steigen ein, die Presseleute (heutzutage zusätzlich die sozialen Medien) werden aufmerksam, die Herde der Anleger setzt sich in Bewegung, treibt die Preise hoch, es folgt die Phase der Euphorie... und dann kommt der Crash. 

„Diesmal ist es eben anders“

So genau wollte der Sohn es nicht wissen. Vermutlich denkt er: Seit meinem Kauf sind die Bitcoins nur gestiegen, diesmal ist es eben anders. Das denken Anleger während Blasen laut Kindleberger ja immer. Das Abendessen ist schon längst aufgegessen, die Familie verteilt sich. 

Zurück bleibt der aufgewühlte Papa. Ist das nun eine Blase? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Es kann sein, dass irgendwann irgendjemand eine nützliche Anwendung für Bitcoins entwickelt und diese sich durchsetzen. Möglich. Aber sehr unwahrscheinlich.

„Das klingt nach Gier, es ist eine Blase“

Was ich wirklich fürchte, ist, dass junge Menschen über Bitcoins ihre erste, schmerzliche Berührung mit dem Thema „Anlage an Kapitalmärkten“ machen werden und danach wieder viel Überzeugungsarbeit auf die Beraterinnen und Berater in den Sparkassen zukommt. 

Ein paar Tage später erwähnt mein Sohn beiläufig, dass sein Freund jetzt „hebelt“: Er hat einen Kredit aufgenommen und das Geld in Bitcoins gesteckt. Das klingt nach Gier. Und meine Überzeugung wächst. Es ist eine Blase.

 

Der Autor

Christian Molitor ist Verbandsgeschäftsführer des Sparkassenverbandes Saar, ehemaliger Redakteur der „Financial Times Deutschland“ – und Familienvater.

 

Christian Molitor, SV Saar
– 23. Februar 2021