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Coronakrise / Konjunktur
Hoffnungen für das kommende Jahr
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Das Statistische Bundesamt überraschte mit phantastischem Wachstum im III. Quartal 2020. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erhöhte sich um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal, in dem es um 9,8 Prozent eingebrochen war. Doch aufgrund wieder deutlich steigender Coronainfektionszahlen wurde für den November ein erneuter Lockdown verordnet, der bis zum 10. Januar verlängert worden ist.

Allerdings sind - anders als im ersten Lockdown im Frühjahr  2020 - im derzeitigen Teil-Lockdown nicht die Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes direkt betroffen, da es keine Grenzschließungen und es keine Unterbrechung von Lieferketten gibt. Doch zeichnet sich bereits ab, dass der jetzige Teil-Lockdown, der den größten Teil der Dienstleister in Quarantäne geschickt hat, ausreichen wird, um das hohe wirtschaftliche Wachstum auszubremsen.

Dennoch akzeptieren Ökonomen den Teil-Lockdown: Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrats - der „Wirtschaftsweisen“ - spricht von einem starken Schutz für die deutsche Wirtschaft, weil Bund und Länder an ihrem Grundsatz festhalten, „Weiterarbeiten, aber in der Freizeit die Kontakte einschränken.“ Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), bedauert zwar, dass Hotels, die Gastronomie, Veranstalter und Künstler erneut ihre Tätigkeit nicht ausüben dürfen.

Er verweist aber darauf, dass der Teil-Lockdown längst nicht so große Schäden in der Wirtschaft verursacht wie der Frühjahrs-Lockdown, „denn die Industrie ist auch im November weiter auf Expansionskurs“. Für das IV. Quartal erwartet Hüther schlimmstenfalls eine Stagnation“ - anders als die Bundesbank, die auch einen wirtschaftlichen Rückgang für möglich hält, aber einen Einbruch ausschließt.

Wie sich zeigt erlebt die Bundesrepublik einen gespaltenen Konjunkturverlauf, wobei sich die Industrie - mit Ausnahme der Konsumgüterhersteller - zunehmend als Rückgrat der Wirtschaft erweist. Im Oktober stieg die Industrieproduktion insgesamt zum sechsten Mal in Folge. „Wenn alles normal läuft, könnte die Corona-Scharte in der Industrie noch in diesem Jahr ausgewetzt werden“, ist Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg überzeugt. Nach jüngsten Erhebungen des ifo Instituts hat sich das Geschäftsklima im Verarbeitenden Gewerbe im November weiter verbessert.

Die Auftragseingänge sind gestiegen und die aktuelle Lage wird von den Unternehmen als „deutlich besser“ beschrieben. Zurückhaltender blickt man auf die kommenden Monate. Völlig anders fällt dagegen das Urteil der Dienstleister aus. Ihre Lageeinschätzung hat sich im November deutlich verschlechtert und sie blickten ausgesprochen pessimistisch in die Zukunft. Auch der Einzelhandel berichtet dem ifo Institut von „deutlich weniger gut laufenden Geschäften“.  

Nach einer Umfrage des Einzelhandelsverbands (HDE) fällt die Verbraucherstimmung im Dezember so schlecht aus wie seit einem halben Jahr nicht mehr. „Trotz Weihnachtszeit sind keine Konsumrekorde zu erwarten“, so der HDE. Nach wie vor auf der Sonnenseite der Konjunktur bewegt sich die Bauwirtschaft. Doch nach ifo-Umfragen fielen die “Erwartungen der Bauunternehmen im November etwas pessimistischer“ aus.

Niedriger als in den Vorjahren war die Zahl der Pleiten 2020. Nach Angaben des ifo Instituts sehen sich gegenwärtig 15 Prozent der deutschen Unternehmen durch die Coronakrise in ihrer Existenz bedroht. In der Industrie sehen sich 11 Prozent der Unternehmen existenzgefährdet, darunter besonders die Metallerzeuger und -verarbeiter, Druckereien, Getränkehersteller, Textilunternehmen und die Bekleidungsindustrie.

Wenig betroffen fühlen sich dagegen die Chemie- und die Pharmabranche sowie der Bau. Wesentlich größer ist die Angst im Dienstleistungsbereich: 86 Prozent der Reisebüros und -veranstalter sowie 76 Prozent der Hotels und 62 Prozent der Gaststätten sehen ihre Existenzen in Gefahr. Im Einzelhandel sehen sich nach den ifo-Umfragen derzeit 16 Prozent gefährdet. Die bisher allerdings insgesamt niedrige Zahl an Pleiten ist laut ifo-Chef Clemens Fuest durch staatliche Hilfen und die teilweise Aussetzung der Pflicht, Insolvenzen anzumelden, verzerrt“. Im kommenden Jahr sei mit deutlich mehr Unternehmenspleiten zu rechnen.   

Sowohl im laufenden Quartal 2020 als auch im ersten Quartal nächsten Jahres dürfte die Wirtschaft deutlich an Schwung verlieren. Doch anders als in der Krise 2008 handelt es sich diesmal nicht um eine tiefe Wirtschaftskrise, sondern um eine Gesundheitskrise mit Auswirkungen auf die Wirtschaft. Sollte es gelingen, das Coronavirus im Jahresverlauf  2021 deutlich zurückzudrängen und die virusbedingten Einschränkungen peu à peu aufzuheben, dann dürfte sich die deutsche Wirtschaft rasch beleben.

Dass mehrere Hersteller von Impfstoffen gegen das Virus bereits im Dezember die Zulassung ihres Impfstoffs beantragt haben, nährt die Hoffnung, dass Anfang kommenden Jahres mit dem Impfprozess begonnen werden kann. Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), ist überzeugt: „Ein wirksamer und nebenwirkungsarmer Impfstoff ändert alles“.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind zumindest günstig: Die EZB flankiert die großzügigen Hilfen der Finanzpolitik in der Krise, indem sie gerade wieder den Niedrigstzins bestätigt hat und ihr Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen um 500 Mrd. auf 1,85 Billionen Euro ausgeweitet hat. Die Laufzeit wird um neun Monate bis mindestens Ende März 2022 verlängert, zuvor galt Mitte 2021 als vorläufiges Ende.

Liquidität steht also weiter en masse zur Verfügung. Die relativ robuste Lage am Arbeitsmarkt sollte auch die Verbraucher beflügeln, ihre Kaufzurückhaltung rasch aufzugeben, wenn sich das Virus zurückzieht, zumal die Inflation ihre Kaufkraft nicht schmälert; sie ging im November auf – 0,3 Prozent zurück. Der Grund: Die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung und vor allem niedrigere Energiepreise.  

Zudem gibt es ab Anfang Januar eine Entlastung: Für 90 Prozent der Steuerzahler entfällt der Solidaritätszuschlag. Damit stehen den Konsumenten weitere 11 Mrd. Euro Kaufkraft zur Verfügung - ein weiterer Konjunkturimpuls, wie die Bundesregierung hofft. Aber auch außenwirtschaftlich lockert sich - abgesehen vom Brexit - die Lage auf. Im wichtigen Ausfuhrmarkt China ist das Wachstum zurückgekehrt, wovon die deutschen Exporteure bereits profitieren. Zudem verheißt der Ausgang der Wahl in den USA weltweit wieder mehr politische und wirtschaftliche Sicherheit. Allerdings werden die deutschen Exporteure zum Teil von der lang erwarteten Dollarschwäche getroffen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit  belastet. 

Für 2020 rechnen die Ökonomen allgemein mit einem kräftigen wirtschaftlichen Wachstumseinbruch. Der Sachverständigenrat erwartet ein Minus von 5,1 Prozent. Aufwärts gehen soll es im kommenden Jahr mit einem Wachstumsplus von 3,7 Prozent. Etwas weiter blickt die BayernLB. Ihr Chefvolkswirt Jürgen Michels rechnet für 2022 mit einem weiteren Wachstum um 2,6 Prozent  und schätzt, dass man hierzulande frühestens Ende 2022 das Ausgangsniveau vor Corona wieder erreicht haben wird. 
 

Dieter W. Heumann
– 11. Dezember 2020