Zurück
Köpfe
Nach Putsch in Myanmar zwischengeparkt in Bangkok
Seit sechs Jahren arbeitet Antje Kinder für die Deutsche Sparkassenstiftung in Myanmar. Dann kam der Putsch und mit ihm brach eine turbulente Zeit für die Sparkassenkauffrau an.

Antje Kinder hat schon einiges erlebt. Als Finanzberaterin arbeitete sie mehrere Jahre in China und zuvor sogar im Kongo. Dann wechselte sie zur Deutschen Sparkassenstiftung und konnte sich mit ihrer neuen Aufgabe 2014 einen Herzenswunsch erfüllen.

„Myanmar hatte sich erst drei Jahre zuvor geöffnet und eine sehr ausgeprägte lokale Kultur. Das Land habe ich deshalb als unglaublich spannend empfunden“, sagt die Sparkassenkauffrau, die ihre Karriere bei der Kreissparkasse Soltau begonnen hatte. Für die Organisation, die das deutsche Sparkassenmodell in die Welt exportiert, trieb sie mit Kooperationspartnern diverse Finanzprojekte zur Bekämpfung der Armut erfolgreich voran und nutzte Myanmar als Ausgangspunkt für Reisen nach Vietnam, Laos, Indonesien, Kambodscha.

„In Myanmar habe ich vor allem die Menschen zu schätzen gelernt, die sehr freundlich und hilfsbereit sind. Und ich habe mich dort sicherer als in Deutschland gefühlt.“ Noch gut erinnert sich Kinder daran, dass sie einmal am Airport vor dem Gate ihren Laptop liegen gelassen hatte. Den habe man ihr ins Flugzeug nachgetragen.

 

Beim World Savings Forum in Myanmar. Antje Kinder hat in dem Land „vor allem die Menschen zu schätzen gelernt, die sehr freundlich und hilfsbereit sind“.

Dann kam der Putsch. Anfang Februar und mitten in der Nacht: „Am nächsten Morgen erzählte mir der Fahrer der Stiftung von den Geschehnissen und warnte mich, dass ich auf keinen Fall das Haus verlassen solle.“ Kurze Zeit später war das Internet tot und Kinder vorübergehend von allen Informationen abgeschnitten.

„Ich hatte zwar nicht richtig Angst. Es war aber ein unheimliches Gefühl, nicht zu wissen, was passieren wird.“ Tagelang war das Land im Schockzustand, bevor die massiven Proteste begannen. Schnell änderten die Demonstranten ihre Taktik, verlagerten die Kundgebungen von den großen Plätzen, die wenig Schutz boten, in die kleineren Straßen mit Wohnhäusern und Läden und damit direkt vor Kinders Haustür.

„Ich wohne in einem Eckhaus und hatte die Situation gut im Blick. Mal kamen die Demonstranten von links, dann von rechts und mal von beiden Seiten“, erinnert sich Kinder, die nur morgens ganz früh das Haus verließ, um im nahe gelegenen Büro Dinge zu erledigen.

Kinder setzt Myanmar-Projekt in Bangkok fort

Als das Militär immer brutaler vorging, Tränengas und Gummigeschosse einsetzte, rief die deutsche Botschaft an und riet nach Absprache mit der Stiftung zum Umzug in ein Hotel. Da hatte Kinder schon fünf Wochen in ihrer Wohnung ausgehalten, im Homeoffice ihre Arbeit erledigt, einkaufen ging sie an den ruhigeren Wochenenden. Doch die Lage wurde immer heikler, zumal Ende März, unmittelbar vor dem „Tag des Militärs“, mit noch stärkeren Unruhen gerechnet wurde. Schließlich entschloss sich Kinder mit der Stiftung zur Ausreise.

Doch wegen Corona war der Flugplan stark ausgedünnt, die Projektassistentin in Bonn versuchte deshalb auf allen möglichen Flügen einen Platz zu ergattern. Die geplante Ausreise nach Bangkok schlug schließlich fehl, weil Kinder nicht schnell genug alle Einreisevorschriften wie das Buchen eines Quarantänehotels erledigen konnte. Schließlich saß Kinder, gerade noch rechtzeitig vor dem „Tag des Militärs“, im Flieger nach Deutschland, wo sie erst einmal vier Wochen Urlaub machte.

Ende April flog Kinder nach Bangkok, mietete eine Wohnung über Airbnb und setzte ihre Arbeit für die Projekte in Myanmar fort. Die über viele Jahre bewährte Zusammenarbeit mit der philippinischen Mikrofinanzinstitution CARD Myanmar (Centre for Agricultural and Rural Development) ließ sich problemlos fortführen, da deren Mitarbeiter schon nach dem Weihnachtsurlaub 2020 wegen Corona nicht zurückreisen konnten und sich so die Arbeit von Homeoffice zu Homeoffice bereits eingespielt hatte.

 

Antje Kinder (links) beim World Savings Forum in Myanmar.

Partnersparkassen und der Bund unterstützen Entwicklungsarbeit

Weiterhin wird Kinders Mikrofinanzprojekt, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wird, wie auch viele andere weltweite Projekte der Deutschen Sparkassenstiftung von einer Partnersparkasse unterstützt, in Myanmar ist es die Sparkasse Essen. Mitte August etwa fand ein Strategie-Workshop mit deren Experten statt. Für das Partnerschaftsprojekt mit der thailändischen Sparkasse steuert die Sparkasse Allgäu Fachwissen bei.

Als zweites Projekt kümmert sich die Deutsche Sparkassenstiftung in Myanmar um die KMU-Finanzierung, bildet bei einer mittelständischen Bank Kreditberater aus und entwickelt Kreditprodukte. In einem dritten Projekt geht es gemeinsam mit dem WWF darum, den Lebensmittelsektor des Landes umweltfreundlicher zu gestalten.

Für die Finanzierung der Investitionsvorhaben werden mit vier Banken Finanzprodukte entwickelt: „Aktuell geht es darum, die Geldströme stärker zu digitalisieren, da das Mikrofinanzgeschäft noch stark über persönliche Kontakte läuft, die aber wegen Corona oftmals nicht mehr erlaubt sind oder erschwert wurden.“

„Wir dürfen das Haus nur zum Einkaufen verlassen“

Viel Bewegungsfreiheit hat Kinder an ihrem neuen Einsatzort nicht: „Wir dürfen das Haus nur zum Einkaufen verlassen, alle Shoppingmalls sind geschlossen, nur kleinere Läden geöffnet.“ Die Inzidenz ist mit 194 (Stand 25. August) immer noch hoch, nur acht Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Ihre Hobbys – Salsa tanzen und reisen – liegen auf Eis. „Das Fernweh habe ich von meinem Vater geerbt, der zur See fuhr“, erzählt Kinder, die sich schon darauf freut, wenn sie wieder die Koffer packen kann.

Jetzt wartet die Finanzexpertin erst einmal in Thailands Hauptstadt auf ihren nächsten Einsatz im Regionalbüro der Stiftung in Hanoi. Das könnte dauern. Wegen Corona – erst 1,9 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft – gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Die gebürtige Berlinerin scheint das nicht aus der Ruhe zu bringen. Im Job und auf ihren zahlreichen Reisen hat sie vor allem eins gelernt: Geduld.

Eli Hamacher (Bild oben: privat)
– 3. September 2021